Mit herzlichem Dank an die Autorin Carmen-Francesca Banciu, die Michaela Prinzinger die Möglichkeit gab, eine Erzählung in der von ihr herausgegebenen Literaturzeitschrift Levure Littéraire auszugsweise zu veröffentlichen!
Mein erste Woche in Kaindorf. Schwarzer Regen rieselte vom Himmel, klopfte an die Scheiben, bildete graue Schlieren mit wirren Mustern, Mäandern, ja Schienensträngen und Autobahnen, auf denen die Tropfen hinunterglitten, manchmal auch quer, vom Wind getrieben, zitternd haften blieben, dann wieder zögerlich weiterrückten, warteten, weiterrückten, warteten, durch Regenrinnsale genährt anschwollen, dann schrumpften, fast vertrockneten, um doch nur wieder ineinanderzulaufen, anzuwachsen und auf drei oder vier Fahrspuren hinunterzugleiten. Mein Fenster war ein Land, durchzogen von Straßen, Gassen und Wegen, eine Landkarte mit angedeuteten Erhebungen und Senkungen, die in verschiedenen Braun- und Grüntönen schraffiert waren. Gleich würden sich Seen, Flüsse und Bäche zu einer einzigen riesigen Wasserfläche vereinen, mit Ebbe und Flut. Jetzt war Flut, das wusste ich. Es war Juni und Neumond, und kein Stern blinkte am Himmel. Mein Fenster war ein lidloses Auge, den Gezeiten ausgesetzt, konnte sich nicht schützen durch ein kurzes, erleichterndes Schließen, konnte nicht schlafen und nicht nachtträumen, nur tagträumen. Was ohnehin die schönere Art zu träumen war. Ich war drin, alles andere war draußen. Kalt, niederträchtig, böse. War drin das Gute? Ich wusste es nicht. Ich schaute nach gegenüber, zum Fenster des anderen Hauses. Dort stand keiner, es war dunkel, kein Licht drang heraus, nur der Rahmen glänzte silbrig im Licht der Straßenlaterne. Es war ein schlichter Metallrahmen und neu eingesetzt. Er passte nicht zu den übrigen Fenstern des Hauses. Die waren aus Holz, alt und rissig, die Farbe, vom jahrelangen Öffnen und Schließen zerschunden, blätterte ab. Jaja, sagte ich ins Telefon und ließ die Worte rauschen. Das Mobilteil des Faxgeräts setzte sekundenweise aus und so hörte ich nur Halbsätze, abgehackte Wörter, ersticktes Gelächter. Ich musste mir meinen Reim darauf machen. Mein Blick wanderte hinüber zum Fenster, es war nicht unterteilt, sondern eine einzige spiegelnde Fläche, vom grellen Licht der Straßenlaterne angestrahlt. Sie sirrte, setzte kurz aus, flackerte leise, entschloss sich dennoch, weiterzuleuchten. Der blaue Vorhang war, wie die ganze Woche schon, zugezogen.
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