Katze, Erzählung, Prinzinger

Das Weihnachtsessen

Eine Kurzgeschichte von Michaela Prinzinger, in der vier Katzen die Hauptrolle spielen, veröffentlicht in der 2017 erschienenen Anthologie des Insel-Verlags „Die Katze unterm Weihnachtsbaum“. Auf der griechischen Seite finden Sie die Übersetzung von Marianna Tsatsou. Viel Spaß beim Lesen!

Leise Musik drang aus den Lautsprechern im Wohnzimmer. Jan bereitete das Abendessen vor, für sich und für die vier Katzen. Gleich würden sie schnurrend um seine Beine streichen und ihre Lieblingsplätze einnehmen. Jedes Jahr war es das gleiche Ritual. Jans Frau war zu ihrer Tochter gereist und würde erst am zweiten Weihnachts feiertag zurückkommen, und der Hausherr konnte sich ganz seinen Lieblingen widmen. Er genoss die Vorbereitungen. Jeden Schritt führte er bewusst, bedächtig und mit Sorgfalt aus. Die Küche wurde aufgeräumt, die vier Wasserschälchen und die vier Tellerchen wurden liebevoll aufgestellt und gefüllt. Sechzehn Pfötchen würden sich spreizen, die kleinen Krallen ausfahren, den Teppichboden aufkratzen, an den Sofakissen Fäden ziehen, sich an den hölzernen Stuhlkanten schärfen und kleine Rillen hinterlassen. Jede der vier Katzen würde, ihrer je weiligen Persönlichkeit folgend, den Weihnachtsabend auf andere Weise genießen. Und Jan würde zum Kellner, Butler und Meisterkoch seiner Katzen werden, würde sich all ihren Launen beugen und ihnen nur das Beste vom Besten kredenzen.

Scanner war der erste Kater von den vieren gewesen. Zugelaufen. Und zwar von nebenan. Eines Tages hatte er in der Balkontür gestanden und vorsichtig ins Wohnzimmer gelugt. Mit kraftvollen, tigerartigen Bewegungen war er dann hereinspaziert und hatte die Einrichtung beschnuppert. Am nächsten Tag war Scanner wieder da und strich durch den kleinen Garten mit dem Froschteich, der Holzbank, dem Fahrradschuppen und der kleinen Sitzgruppe. Er inspizierte das Gelände, er sondierte die Ein- und Ausgänge, setzte seine schwarzen Pfoten auf die Gehwegplatten und reckte und dehnte sich genüsslich. Am dritten Tag probierte er die bisher unbenutzte Katzenklappe aus und schlüpfte ins Wohnzimmer. Am vierten Tag war er beinah schon zu Hause bei Jan und nahm in freudiger Erwartung in der Küche Platz. Am fünften Tag war das neugekaufte Wasserschälchen voll und der Fressnapf für den Gast gefüllt, der gekommen war, um zu bleiben.

Jan kam mit dem Nachbarehepaar überein, dass sich der eigenwillige Scanner wohl ein neues Herrchen und Zuhause gesucht hatte. Manchmal stimmte die Chemie eben einfach nicht. Scanners Lieblingsplatz war auf dem Bücherschrank im Wohnzimmer, zwischen den altertümlichen Erbstücken seines Vaters, die aus einer Sammlung klobiger Tongefäße bestanden. Warum er den Namen Scanner trug, blieb im Dunkeln. Aber es hatte Auswirkungen auf die Namen der weiteren Katzen des Haushalts. Denn weitere Katzen musste es geben, da Jan viel arbeitete und Scanner ganz auf sich allein gestellt war. Das würde nicht lange gutgehen.

Also ging Jan ins Tierheim, auf der Suche nach Gesellschaft für Scanner. Er lief die Käfige mit den Hunden, Kaninchen und Meerschweinchen entlang, die auf ein neues Zuhause hofften. Auf den ersten Blick verliebte er sich in ein putziges Kätzchen mit weiß-schwarz-rotem Fell, das ihn sehnsüchtig anblickte. Diesem Anblick konnte Jan nicht widerstehen, doch er musste einsehen, dass das Kätzchen noch einen Zwillingsbruder hatte, der natürlich nicht zurückbleiben konnte. So kehrte Jan mit zwei kleinen Katzen nach Hause zurück, damit Scanner nicht so einsam war. Und die Namen für die beiden Zwillinge lagen auf der Hand: Zu Scanner konnten nur Printer und Memory passen. Scanner und Printer waren sofort ein Herz und eine Seele – so, als hätten sie sich gesucht und gefunden. Es war Sympathie auf den ersten Blick, sie waren nicht nur Brüder im Geiste, sondern sie sahen sich sogar ähnlich. Sie wirkten mit ihrem getigerten Fell wie Geschwister und waren bald vollkommen aufeinander fixiert. Die dreifarbige Memory hingegen blieb von dieser innigen Freundschaft ausgeschlossen.

Nicht lange danach beschloss Jans bester Freund, nach Neuseeland auszuwandern. Schon bei Jans früheren Besuchen war die Zuneigung der kleinen, schüchternen Mouse unübersehbar geworden. Mouse, durch die großzügige Haltung von Hunden, Katzen und anderen Haustieren durch Jans Freund verunsichert, hielt sich bei Besuchen vorwiegend unter dem Sofa oder hinter dem Vorhang auf. Sie traute sich nur aus ihrem Versteck hervor, um auf Jans Schoß zu springen. So lag es auf der Hand, dass Mouse in Jans Besitz übergehen würde, sobald die Abreise des Freundes nach Übersee aktuell wurde. Und der Name passte wie angegossen zur übrigen Truppe von Scanner, Printer und Memory.

Katzen Graffiti Athen

Seltsamerweise änderte Mouse ihr Verhalten in der neuen Umgebung vollkommen. Trotz ihrer kleinen Gestalt strahlte sie mit ihrem cremefarbenen, aber zart rötlich schimmernden Fell eine herzoginnenhafte Noblesse aus. Hatte man nun erwartet, dass Scanner die Führungsrolle übernahm, so sah man sich getäuscht. Die zierliche Mouse zog die Fäden und bestimmte, wo es langging. Und die anderen beugten sich ihrer königlichen Aura, die erst in Jans Haus zutage trat.

Das waren Jans vier Katzen, für die er das Weihnachtsessen vorbereitete. Für sich selbst hatte er schon am Vortag einen vegetarischen Kastanienbraten hergerichtet, begleitet von einem leichten Feldsalat mit Feigen-Balsamico-Dressing. Nur den Katzen sollte es an nichts fehlen. Für die verwöhnte Mouse hatte er besonders leicht verdauliches Lachsmousse geholt, für die gefräßigen Scanner und Printer eine größere Menge Kabeljau, Memory hingegen brauchte kein besonderes Menü, denn sie war als unterstes Glied in der Katzenrangordnung ohnehin mit allem zufrieden.

Auf leisen Pfoten kamen sie herein, als er sie zum Essen rief. Die elegante Mouse zierte sich ein wenig, bevor sie vor ihrem Tellerchen mit Lachsmousse, garniert mit Petersilie, Platz nahm. Sie putzte sich noch schnell Ohren und Bäckchen, bevor sie zu Tisch ging. Dann folgte Scanner, der mit seinem Raubtiergang zielstrebig auf sein Tellerchen zusteuerte, den Kabeljau beschnupperte und behaglich schnurrte, und ihm auf den Fersen sein kleiner Bruder im Geiste, Printer, der sich ganz im wiegenden Gang seines Vorbilds übte. Ganz zum Schluss strich Memory herein, von den anderen kaum beachtet, aber auch nicht gemobbt. Sie kauerte sich vor ihre Portion, schaute nicht rechts noch links, zog keine Vergleiche mit den anderen, sondern konzentrierte sich vollkommen auf das, was ihr zustand.

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Jan freute sich an ihrem Anblick, erinnerte sich an Anekdoten aus früheren Jahren, an Streiche und Possierlichkeiten. Immer wenn er von der Arbeit nach Hause kam, saß Printer bereits wartend an der Balkontür. Es sah aus, als hätte er diese privilegierte Position schon vor einer Weile bezogen. Sie wurde ihm großzügig von Scanner überlassen, der auf seinem Lieblingsplatz zwischen den klobigen Tongefäßen saß und vom Bücherschrank herunterblickte. Kaum hatte Jan sein Fahrrad in den Schuppen gestellt und den kleinen Garten durchquert, da spannte Printer seine Muskeln an und begann mit den Pfötchen abwechselnd auf dem Boden zu treten, als wollte er Anlauf nehmen, um eine große Hürde zu überspringen. Das war das Zeichen für Scanner, der auf dem Bücherschrank saß, sich langsam aufzurichten und den Blick zur Balkontür zu lenken. Memory, die um diese Tageszeit üblicherweise im Arbeitszimmer im ersten Stock die Stellung hielt, kam die Treppe herunter und positionierte sich vorsichtig an der Tür zum Wohnzimmer, das nahtlos in eine kleine Küche überging.

Sie blieb Beobachterin von Scanners und Printers Spielen, die sich auf Jans Eintreffen vorbereiteten. Besonders wirkungsvoll war der gewaltige Satz, mit dem Scanner beim Öffnen der Tür vom Bücherschrank heruntersprang, ohne auch nur eins der Sammlerstücke zu gefährden, was Jan wenig gestört hätte, denn sie waren ihm schon lang lästig und ein Dorn im Auge. Nur hatte er noch keine Zeit gefunden, sie zu sichten und teils zu verkaufen, teils zu verschenken. Scanner ging gelenkig in die Knie und krallte sich in den schon etwas maroden Teppich. Dann nahm er neben Printer Aufstellung, der immer noch mit den Pfötchen trat. Beide blickten sie zu Jan auf, der – wie alle Katzenbesitzer – menschliche Gefühle in die Augen seiner Haustiere projizierte und Wiedersehensfreude in ihnen zu erkennen glaubte. Memory blieb an der Wohnzimmertür sitzen, wo sie geduldig auf Jans Aufmerksamkeit und Kraulen wartete. Als Letzte erschien, sorgsam inszeniert, die Königin selbst, klein von Wuchs, aber mit allen Wassern gewaschen. Ganz langsam und majestätisch schritt sie die Treppe herunter, denn sie hatte in der Dachkammer residiert, in Jans Schlafzimmer. Mit großer Selbstverständlichkeit ging sie davon aus, als Erste ihr Futter zu bekommen. Und so war es dann auch. Diese Hierarchie wurde von niemandem angezweifelt.

Auch am Weihnachtsabend war es nicht anders. Das Lachsmousse war natürlich das erste Tellerchen gewesen, das serviert wurde. Und alle anderen Katzen wussten genau, wem es gebührte. Dann folgte Scanners Kabeljau-Portion, dann die etwas kleinere von Printer, und zum Schluss landete auf Memory’s Tellerchen, was von den anderen übriggeblieben war. Jan pickte mit der Gabel in seinem Kastanienbraten und naschte vom Feldsalat. Er sah, wie Mouse ihre rosa Zunge nach dem Lachsmousse streckte und es mit zierlichem Schwung aufleckte. Manierlich putzte sie sich die letzten Reste von den Barthaaren und warf einen prüfenden Blick in die Runde. Keiner konnte ihr in punkto Tischmanieren etwas vormachen. Scanner war da schon grobschlächtiger und ging nicht ganz so delikat zur Sache. Printer orientierte sich an Scanner, und Memory putzte die Reste zusammen, ohne sich weiter zu kümmern, was oder wie viel sie bekam.

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Das erste Anrecht, auf Jans Schoß zu sitzen, hatte stets Mouse, die sich in seine Arme kuschelte. Scanner und Printer strichen um seine Beine und erwarteten, gekrault zu werden. Memory nahm ihre Warteposition unter dem Tisch ein und kam erst, wenn sie gerufen wurde. Trotz der von allen akzeptieren Katzenhierarchie versuchte Jan, seine Zärtlichkeiten gerecht zu verteilen. Er genoss jede Sekunde ihrer Gesellschaft, wärmte seine Hände an ihrem Fell, erfreute sich an ihren spielerischen Bewegungen, spürte das Pochen ihrer Herzen, hörte das sanfte Schnurren und spürte die Barthaare, die über seinen Handrücken strichen.

Als er schlafen ging, wusste er, dass er sie erst in einem Jahr wiedersehen würde. Ihre Silhouetten würden im Laufe der Nacht verblassen und durch die Fensterscheiben hindurch mit dem Dunkel des Gartens verschmelzen. Am Morgen würde er die Relikte des Festmahls vorfinden, die zurückgelassenen Gräten und die Abdrücke ihrer schmutzigen Pfötchen auf den Sofakissen. Bevor seine Frau von ihrer Reise zurückkam, würde er alles aufräumen, die Sofakissen säubern, die Essensreste entsorgen und alle Spuren des abendlichen Gelages beseitigen. Er würde an der Balkontür stehen, in den kleinen Garten hinausblicken und sich ausmalen, wie die vier Katzen im nächsten Jahr wieder aus der winterlichen Finsternis – manchmal im Schnee, manchmal im Regen – zuerst mit dem Köpfchen, dann mit den Pfoten und zuletzt mit dem wendigen Körper durch die Scheibe der Balkontür glitten und ihre altbekannten Positionen einnahmen. Alle vier waren sie knapp hintereinander ins Nirvana der Katzen hinübergegangen und hatten ein Plätzchen im Garten gefunden. Er wusste genau, wo jede einzelne von ihnen – bis zum nächsten Jahr – ihren letzten Traum träumte.

Text: Michaela Prinzinger. Entnommen mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus: Die Katze unterm Weihnachtsbaum. Die schönsten Geschichten zum Fest. Berlin, Insel Verlag 2017. Fotos: Athener Katzen-Graffiti, Michaela Prinzinger.

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