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„Frauenliteratur“ in Griechenland

Zwar schon vor zwanzig Jahren erschienen, aber erfreulicherweise immer noch im Handel erhältlich: Michaela Prinzingers Doktorarbeit zur Frauenliteratur in Griechenland 1970-1990 mit dem Titel „Mythen, Metaphern und Metamorphosen“, die 1995 mit dem Joachim-Tiburtius-Anerkennungspreis ausgezeichnet wurde und als Band 45 in der Reihe „Ergebnisse der Frauenforschung“ im Metzler Verlag erschien. Lesen Sie hier einen kleinen Auszug!

Die moderne griechische Literatur ist bis heute – sei es aufgrund fehlender Übersetzungen oder sei es aufgrund der schwierigen Übertragbarkeit der griechischen Sprache – kaum in das europäische Bewusstsein eingedrungen, was angesichts zweier griechischer Nobelpreisträger sowie eines organisierten Massentourismus in den sonnigen Süden Europas verwundert. Die Erzählliteratur, die von der griechischen Literaturkritik selbst bis vor kurzem – ganz im Gegensatz zur Poesie – stiefmütterlich behandelt worden war, erlebte in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen großen Aufschwung. An dieser Entwicklung war eine ganze Reihe von Autorinnen maßgeblich beteiligt, deren Werke sowohl die Aufmerksamkeit der Kritik als auch hohe Auflagen erreichten.

Die vorliegende Arbeit nähert sich in drei Schritten der Fragestellung nach der Rolle der weiblichen Schreibweise in Griechenland an. Der erste Schritt ist ein einführender Rückblick auf die Geschichte des Begriffs „Frauenliteratur“ in der griechischen Literaturkritik. Den zweiten Schritt bildet die Beschreibung der gesellschaftlichen und literarischen Hintergründe der siebziger und achtziger Jahre, vor denen sich das Werk von Autorinnen wie Maria Mitsora, Elena Rebelina und Evgenia Fakinu deutlich abzuheben beginnt. Der dritte und umfangreichste Schritt sowie auch der Hauptteil der vorliegenden Arbeit besteht aus der Interpretation von ausgewählten Texten dreier Autorinnen: Rea Galanakis, Alexandra Deligiorgis und Margarita Karapanus. Theoretische Texte, die die ganze Konzeption der Arbeit geprägt haben, sind H. Blooms These der – als ödipal zu bezeichnenden – Auseinandersetzung zwischen den literarischen Ahnvätern und deren Nachfahren, M. Foucaults Ansatz der Diskursanalyse und Arbeiten von Philosophinnen und Literaturwissenschafterinnen wie L. Irigaray, H. Cixous und vor allem J. Kristeva, deren These der mütterlichen präodipalen chora die Gedankengänge der vorliegenden Arbeit entscheidend beeinflusst hat.

Eine größere Anzahl schreibender Frauen gab es in Griechenland bereits im 19. Jahrhundert, was die – selbstverständlich männlich dominierte – Literaturkritik veranlasste, das Konzept „Frauenliteratur“ zu entwickeln. Dieser Begriff wird im wesentlichen Ende des 19. Jahrhunderts von E. Roidis und K. Palamas als lyrisch-empfindsame – eben „weibliche“ – Schreibweise geprägt. Diese Festlegung wird bis in die Nachkriegszeit weitertradiert und findet in den kanonformierenden Literaturgeschichten ihren augenfälligsten Niederschlag. „Frauenliteratur“ gilt als parallele Entwicklung und ergänzender Beitrag zu der vorwiegend von Autoren geprägten literarischen Produktion. Zu diesem Dilemma der Literaturkritik und Literaturgeschichtsschreibung tritt noch ein zweites: der Begriff der „literarischen Generation“. Dieser Beschreibungsmodus der literarischen Fortentwicklung durch bestimmte, biographisch definierte und in Lebensaltern aufeinander folgende Gruppen wirkt sich hemmend auf die Rezeption der Literatur von Frauen aus, da er auf einem patrilinearen Denken fußt, nämlich auf der Übergabe der Herrschaft vom Vater an den Sohn.

Für die griechische Literatur lassen sich, durch die mangelhafte Forschungslage, noch wenige Aussagen über Anzahl und Einfluss von Autorinnen vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Zwischenkriegszeit machen. Deswegen kann eine vorläufige feministische Konzeption eines Gegenkanons allgemein erst ab den dreißiger Jahren einsetzen und insbesondere von der vorliegenden Arbeit erst nach 1974 unter dem Einfluss der Neuen Frauenbewegung beschrieben werden. Denn eine grundlegende Änderung des Wahrnehmungsmusters der Literatur von Frauen tritt erst in den siebziger Jahren unseres Jahrhunderts ein. Trotzdem bleiben noch immer bestimmte Selektionsmechanismen vorherrschend, die als Mythen und Metaphern der Literaturkritik bezeichnet werden können.

Dazu gehören a) der Mythos des Nonkonformismus, also der Auseinandersetzung von literarischem Establishment und Underground, der durch angloamerikanische Einflüsse und die 68er-Bewegung entstand; b) der Mythos des männlichen Charakters des literarischen Generationenschemas, das auf der Unsichtbarkeit von Frauen und dem Konflikt zwischen Vätern und Söhnen beruht, was sich in sprachlichen Metaphern nachweisen lässt; und c) das zum Mythos gewordene Dogma der „Politisierung“ literarischer Werke, d. h. die durch die Kritik eingeforderte gesellschaftliche Relevanz der Texte. Dieser Ruf nach „Politisierung“ – und damit einhergehend die Forderung nach erzählerischem Realismus – reicht bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs und des nachfolgenden Bürgerkriegs zurück und findet in der politischen Situation des Landes zwischen 1967 und 1974 neue Nahrung.

Vor dem Hintergrund dieser Mythen, Dogmen und Metaphern werden Texte von Frauen sichtbar, die diese Vorgaben unterwandern und umwandeln: Die Antwort der Schriftstellerinnen sind eigenwillige Metamorphosen bekannter Bilder und vertrauter Geschichten und eine Absage an einen wie immer gearteten „Realismus“. Diese Transformationen werden in der vorliegenden Arbeit als parodistische Verfahren beschrieben, die sich eine bestehende Tradition einverleiben und zugleich kommentieren, verwandeln und verändern. Diese Zugangsweise zur literarischen Tradition, wo ein textueller Mutterkörper ein vertrautes Bild in sich einschließt, hebt sich von den Wahrnehmungsmechanismen der Literaturkritik ab, die auf der ödipalen Auseinandersetzung mit dem literarischen Ahnvater beruhen. Die ironische Antwort der Autorinnen ist die präödipale Einheit des weiblichen Textes mit seinem männlichen Ursprung.

In der Natur wie in der Literatur existieren zwei Modelle: ein produktives und ein reproduktives; ein väterliches und ein mütterliches; eines, das sich auf die Zeugung durch den Vater und eines, das sich auf die Geburt durch die Mutter beruft. Das eine Modell stellt die Beziehung von Vater und Sohn in den Mittelpunkt, während das andere Modell die Beziehung von Mutter und Tochter thematisiert. Das eine Modell definiert sich über die ödipale Auseinandersetzung um Vorherrschaft zwischen Vätern und Söhnen. Das andere Modell beruft sich auf die vorödipale Phase des Eingeschlossenseins in den mütterlichen Leib. In beiden Fällen geht es um kulturelle Modelle, die den Transfer von Wissen und Macht und die Etablierung einer Tradition beschreiben. In Griechenland beginnen in den siebziger und achtziger Jahren Texte von Frauen über das mütterliche reproduktive Modell zu reflektieren. Die poetisch verschlüsselten und rätselhaften Texte von Rea Galanaki, Alexandra Deligiorgi und Margarita Karapanu lassen sich mit Hilfe feministischer Subjekttheorie lesen und geben über die weibliche Sichtweise des Ursprungs der menschlichen Existenz und des literarischen Selbst Aufschluss.

Text: Michaela Prinzinger.

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