»Σεμινάρια Φονικής Γραφής« στα γερμανικά

Το μυθιστόρημα »Σεμινάρια Φονικής Γραφής« του Πέτρου Μάρκαρη τώρα στα γερμανικά, σε μετάφραση της Μιχαέλα Πρίντσιγκερ. Από τις 25 Ιουλίου 2018 στο βιβλιοπωλείο της εμπιστοσύνης σας! Διαβάστε εδώ τα δύο πρώτα κεφάλαια.

1

»Ein weiter Weg liegt vor dir, Tassia.«

»Führt er bergauf?«

Kalliopi studiert eingehend den Kaffeesatz. »Nein, ich sehe nur eine lange, steinige Straße. Aber an ihrem Ende strahlt ein Licht, das aussieht wie eine aufgehende Sonne.«

»Das betrifft wohl eher deinen Sohn als dich selbst«, sagt Argyro lächelnd zu Tassia.

»Mein Sohn hat sich an drei Universitäten im Fach Biologie beworben«, erklärt Tassia Adriani und bekreuzigt sich. »Wenn das klappt, mache ich eine Wallfahrt zur Gottesmutter nach Tinos.«

Die Unterhaltung über Tassias Zukunft und die ihres Sohnes findet in einem Hotel in Papingo statt.

Eines Morgens war Adriani voller Sehnsucht nach dem Epirus aufgewacht. Da wir aus der gleichen Gegend stammen, steckte sie mich damit an. So beschlossen wir, unsere alte Heimat zu besuchen. Seit unserem Wegzug damals waren wir nur zu zwei traurigen Anlässen zurückgekehrt: zum Begräbnis von Adrianis Mutter und zu dem meines Vaters. Beide Male hatten wir Katerina – einmal als Baby, dann als Kleinkind – mit dabei.

Wir reisten also nach Papingo, und jetzt sitze ich in Gesellschaft von vier Damen, darunter meine Ehefrau, im Speisesaal des Traditionshotels Zum Granatapfel. Das Frühstück ist zwar schon abgeräumt, aber die Damen haben sich noch einen Mokka bestellt, damit ihnen Kalliopi die Zukunft aus dem Kaffeesatz lesen kann. Durch das Fenster sieht man das imposante Astraka-Massiv, wo ich als kleiner Junge mit Leimruten auf die Jagd nach Amseln und Wachteln gegangen bin.

Überrascht sehe ich, wie rege sich Adriani an der Interpretation der bevorstehenden Ereignisse beteiligt. Anscheinend haben die drei Damen sie mit ihrer Begeisterung für die Wahrsagekunst infiziert. Von ihrer Mutter hat sie das bestimmt nicht. Obwohl, früher befassten sich die Frauen – in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft – ausführlich mit dem Kaffeesatz. Da ich sonst immer den ganzen Tag auf der Dienststelle bin, habe ich keine Ahnung, was Adriani tagsüber so treibt. Kann sein, dass sie in meiner Abwesenheit ständig zwischen Tarotkartenlegerinnen und Kaffeesatzleserinnen hin und herpendelt. Wer weiß.

»Siehst du vielleicht ein großes Gebäude?«, fragt Tassia Kalliopi.

»Was für ein Gebäude?«

»Die künftige Uni meines Sohnes natürlich«, erklärt Tassia.

Kalliopi mustert die Kaffeetasse ausgiebig. »Ein Gebäude kann ich nicht erkennen, aber eine größere Menschengruppe«, meint sie schließlich.

»Das wird der Fachbereichsvorstand sein, in dem über seine Bewerbung entschieden wird«, schlussfolgert Tassia und bekreuzigt sich erneut. »Ach, heilige Muttergottes!«

»Jetzt sind Sie dran, Frau Adriani«, sagt Kalliopi und nimmt die umgedrehte Tasse meiner Frau zur Hand.

Ich ergreife die Flucht, da ich keine Lust habe, Adrianis Zukunft zu erfahren, die vermutlich auch mich selbst betrifft.

»Glauben Sie nicht an den Kaffeesatz, Herr Charitos?«, fragt Argyro, als sie merkt, dass ich Anstalten zum Aufbruch mache.

»Ich will lieber keine Prophezeiungen hören. Sie könnten mich beeinflussen«, antworte ich, während Adriani mir einen undefinierbaren Blick zuwirft. Sie scheint hin- und hergerissen, ob sie sich über meine Worte aufregen oder mir meine Befürchtungen abkaufen soll.

Bevor sie auf die eine oder andere Art reagiert, verlasse ich den Speisesaal und trete auf die Veranda vor dem aus großen Steinquadern gebauten Hotel. Ich atme ich tief durch, während mein Blick über die Bäume hinweg zum Gipfel des Astraka schweift.

Es ist Mitte September, aber das Wetter ist – zumindest bis zum Sonnenuntergang – noch mild. Wenn es dunkel wird, kühlt es ab, und an manchen Abenden muss man in einem Kafenion oder Restaurant Zuflucht suchen. Aber ich will mich nicht beschweren, wir fahren ja immer im September in Urlaub. Uns ist es lieber, den Hochsommer in Athen zu verbringen, als uns Mitte Juli an dem alljährlichen Exodus der Athener zu beteiligen. Selbst wenn wir auf eine entlegene Insel oder in ein Bergdorf fahren würden, müssten wir das Martyrium der Hin- und Rückfahrt auf uns nehmen. Dann verwandelt sich das griechische Verkehrsnetz in eine einzige, riesige Straßenblockade, und Adriani ruft schon, wenn ich den Seat nur in Gang setze, vorauseilend »Pass auf!«.

Argyro, Kalliopi und Tassia haben wir hier im Hotel kennengelernt. Alle drei sind Rentnerinnen, Argyro und Kalliopi sind unverheiratet, Tassia ist verwitwet, und sie fahren immer gemeinsam in Urlaub. Schnell haben sie sich mit Adriani angefreundet. Am ersten Tag stellten sie sich einander vor, am zweiten Tag waren sie bereits unzertrennlich. Seitdem sind wir zu fünft unterwegs und unternehmen gemeinsam Ausflüge.

Auf einen Spaziergang habe ich gerade keine Lust. Außerdem plant Adriani mit ihren Freundinnen vielleicht eine Exkursion, da darf ich mich nicht aus dem Staub machen, sonst kriege ich was zu hören. Deshalb nehme ich auf einem der Loungesessel Platz, betrachte den Astraka und erinnere mich an meinen Vater, der mir, wenn er gut gelaunt war, von den Bürgerkriegsschlachten zwischen Astraka und Gamila erzählte.

Das Läuten meines Handys unterbricht meine Gedanken. Es ist Katerina. »Was gibt es Neues, Papa? Wie geht es euch?«.

»Wunderbar. Die Sonne scheint und deine Mutter hat nette Gesellschaft gefunden.«

»Was für Gesellschaft?«, will sie wissen.

»Drei sehr sympathische Damen, die mich zu ihrem Chauffeur ernannt haben. Und jetzt bringe ich sie zu allen Sehenswürdigkeiten.«

»Ach, du Ärmster!«, meint sie und kann dabei ein Lachen nicht unterdrücken.

»Und wie ist es in Athen?«, frage ich.

»Wie immer im September, wenn alle aus den Ferien zurücksind «, antwortet sie. Mit beiderseitigen Grüßen an alle legen wir auf.

Ich frage mich gerade, wie lange das eingehende Studium eines Kaffeesatzes eigentlich dauert, als Adriani auftaucht.

»Na, was habt ihr herausgelesen?«, frage ich.

Sie blickt mich mit einem verschmitzten Lächeln an. »Sag ich nicht.«

»Seit wann interessiert dich so etwas überhaupt?«

Von ihrer Miene her zu schließen, müssen die Zukunftsaussichten rosig sein. Aber ich bedränge sie nicht weiter. Sie hat die Schotten dicht gemacht und wird mir nichts sagen.

»Was soll das denn sein?«, hören wir eine Stimme hinter uns.

Als wir uns umdrehen, erblicken wir die drei Grazien. Ihre Blicke sind auf einen riesigen Vogel geheftet, der die Hänge des Astraka herunterschwebt. Als er zur Seite gleitet, erkennt man, dass Rücken und Bauch weiß, Flügel und Beine rot sind. Er hält die Schwingen reglos ausgestreckt und gleitet langsam in die Schlucht hinunter. Wenn es tatsächlich ein Vogel ist, dann muss er sich von einem anderen Kontinent hierher verirrt haben.

»Ist das ein Adler?«, fragt Kalliopi.

»Bist du noch bei Trost?«, wirft Argyro ein. »Hast du jemals einen Adler mit roten Flügeln gesehen? Gut, im Volkslied besingt man den Adler ohne Schwingen. Aber einen mit roten Schwingen gibt’s nirgends.«

»Der hat nicht nur rote Flügel, sondern auch noch eine Brille auf«, fügt Tassia hinzu.

»Eine Brille?«, wundert sich Adriani.

»Ja, siehst du denn nicht, dass er eine schwarze Brille trägt? Eine richtige Fliegerbrille!«

»Dann ist es vielleicht ein Mensch?«, fragt Kalliopi.

»Es ist ein Mensch, und noch dazu ein Deutscher«, hören wir eine Stimme hinter uns sagen.

Als wir uns umwenden, sehen wir Maria, die fünfzigjährige Hotelbesitzerin, am Eingang stehen. »Es sind ein paar verrückte Deutsche«, erklärt sie uns. »Sie klettern auf den Astraka und den Gamila hoch, ziehen sich Flügel an und stürzen sich hinunter. Es heißt sogar, sie gleiten die Hänge des Smolikas hinunter, aber das habe ich nicht mit eigenen Augen gesehen.«

»Gütiger Gott!«, sagt Adriani und bekreuzigt sich.

»Schauen Sie in die Schlucht hinunter«, meint Maria.

Unten erblicken wir ein paar Typen, die nach oben winken.

»Und was machen die dort? Nur zuschauen?«, fragt Argyro.

»Nein, das ist das Bodenpersonal. Sie helfen beim An- und Ablegen der Flügel und der übrigen Ausrüstung«, erläutert Maria.

»Die sind verrückt«, schlussfolgert Tassia.

»Das ist nicht gesagt. Jedenfalls scheinen sie ihren Spaß dabei zu haben«, erwidert Argyro.

»Wollen wir uns das nicht aus der Nähe anschauen?«, schlägt Adriani vor.

»Aber wir wollten heute doch nach Zagori fahren«, meint Kalliopi unschlüssig.

»Das können wir verschieben, Kalliopi«, antwortet Argyro. »Die Zagori-Dörfer stehen auch morgen noch, die Vogelmenschen können jederzeit davonfliegen.«

Alle drehen sich gleichzeitig nach mir um und fixieren mich mit ihren Blicken. Sie haben offenbar nicht vor, zu Fuß in die Schlucht zu wandern.

»Na dann, los!«, sage ich, weil ich ihnen einerseits den Gefallen tun, andererseits selbst das Schauspiel aus der Nähe sehen möchte.

»Zieht euch etwas Warmes an, in der Schlucht ist es kühl«, warnt uns Maria.

Dann kehren wir alle ins Hotel zurück, um Jacken und Pullover zu holen. Ein paar Minuten später treffen wir uns am Eingang wieder und machen uns mit dem Seat auf den Weg.

Buchumschlag Petros Markaris Drei Grazien2

Der Seat müht sich über die holprige Straße. Bei jeder Unebenheit stößt eine der Damen auf dem Rücksitz einen kleinen Schrei aus. Ich aber habe ganz andere Sorgen. Ich fürchte, dass unsere Rückfahrt nach Athen problematisch werden könnte und der Seat zuvor in die Werkstatt muss.

»Sollen wir den Wagen nicht besser stehen lassen?«, frage ich. »Das ist die reinste Via Dolorosa für ihn.«

Unter allgemeiner Zustimmung stelle ich den Seat unter einem Baum ab. Aber auch der Fußweg ist nicht leicht zu bewältigen, da uns der steinige Wanderpfad zu schaffen macht. Die Zeiten sind vorbei, als wir barfuß über schroffe Felsen liefen, sage ich mir. Am besten hat es wohl der Seat getroffen.

»Meine armen Beine«, stöhnt Argyro. »Ich werde ins Hotel zurückhumpeln und morgen nicht aus dem Bett kommen.«

»Ich habe euch doch gesagt, wir sollten in die Zagori-Dörfer fahren, aber ihr wolltet ja den Fliegenden Holländer sehen«, bemerkt Kalliopi.

»Was für einen Holländer? Es sind doch Deutsche! Hast du nicht gehört, was Maria gesagt hat?«, hält ihr Adriani entgegen.

Kalliopi lacht auf, während ihr die anderen drei irritierte Blicke zuwerfen.

Wir erreichen die Ausläufer des Astraka-Gebirges genau in dem Moment, als der Flugkörper deutscher Provenienz zur Landung ansetzt. Nur, dass er nicht wie ein Vogel oder Flugzeug im sanften Anflug landet, sondern quasi senkrecht vom Himmel fällt. Zwei Leute, die in der Schlucht warteten, heißen ihn mit Applaus willkommen. Als er die Brille ablegt, stellen wir fest, dass Graf Zeppelin weiblichen Geschlechts ist. Es handelt sich um eine vierzigjährige Frau, die sich lächelnd vor ihrem Publikum verbeugt.

»He, das ist ja eine Frau!«, wundert sich Tassia.

»Das fehlte noch!«, meint Argyro.

»Warum sollen Frauen nicht fliegen?«, fragt Kalliopi. »So viel ich weiß, gibt es nicht nur Männchen unter den Vögeln.«

Damit bringt sie uns alle zum Lachen.

Die Deutschen drehen sich um und blicken uns überrascht an. Die beiden Männer bleibt ernst, aber die Fliegerin lächelt uns zu.

»Kommt, wir gratulieren ihnen am besten zu ihrer Leistung«, bemerkt Tassia. »Auch wenn sie uns Faulpelze und Schmarotzer nennen, so sind wir doch noch immer gute Gastgeber.«

Wir gehen lächelnd auf die Deutschen zu, die unsere Freundlichkeit erwidern.

»Bravo!«, sagt Kalliopi bewundernd zur Fliegerin.

»Danke«, antwortet die zuerst auf Deutsch und fügt dann auf Englisch hinzu: »Thank you.«

Plötzlich spricht Argyro die Leute auf Deutsch an, was die drei sichtlich freut.

»Kann sie denn Deutsch?«, will Adriani von Kalliopi wissen.

»Ja, sie hat es im Goethe-Institut gelernt. Wie gut sie wirklich spricht, kann ich nicht beurteilen. Wenn es so gut ist wie mein Französisch, das ich am Französischen Kulturinstitut gelernt habe, ist es wohl mehr ein Radebrechen.«

Ich verschweige lieber, wie traurig es um meine eigenen Englisch-Kenntnisse steht. Aber ich finde Trost beim Gedanken, dass ich die Sprache an keinem ausländischen Kulturinstitut, sondern an der Polizeischule gelernt habe und mich danach im Präsidium mithilfe von Migranten weiterbildete.

Argyro unterbricht kurz das Gespräch, um uns ihre Konversation mit den Deutschen zu übersetzen. »Sie haben mir erzählt, dass sie jedes Jahr herkommen«, weiß sie zu berichten. »Sie reisen immer in einer Gruppe an. Die anderen sind vom Gamila-Gebirge aus gestartet. Es gefällt ihnen hier, weil die Leute freundlich sind und ihren Flugkünsten Beachtung schenken. In Deutschland kräht kein Hahn nach ihnen.«

»Hast du gefragt, was sie beruflich machen?«, fragt Tassia.

»Alle drei arbeiten an der Uni. Die Frau unterrichtet Soziologie, der Bärtige ist Germanist und der dritte mit dem Strohhut ist Jurist.«

»Den Winter verbringen sie als Bücherwürmer in den Bibliotheken, den Sommer frei wie die Vögel in der Luft. Eine schöne Kombination«, bemerkt Kalliopi.

Wir nähern uns, um uns zu verabschieden. Die beiden Männer strecken uns sofort die Hand entgegen, was mich an Uli erinnert, der mir stets zum Gruß die Hand drückt. Die Frau beschränkt sich auf ein Nicken und ein Lächeln. Aber wohl nur deswegen, weil ihre Hände noch an die Flügel fixiert sind.

Zurück beim Seat, ruhen wir uns zehn Minuten aus, um wieder zu Atem zu kommen. Die Frauen auf den Rücksitzen massieren sich unter leisen Seufzern Beine und Knie. Nur Adriani sitzt stoisch da.

»Offenbar hast du nicht vergessen, wie man über Felsen klettert«, necke ich sie.

»Doch doch, ich hab’s verlernt. Aber ich habe die Ziegenpfade meines Heimatdorfes vermisst. Deshalb genieße ich es jetzt«, antwortet sie und wendet sich an ihre Freundinnen: »Begreift ihr jetzt, warum wir uns mit den Deutschen nicht verständigen können?«, fragt sie.

Alle blicken sie gespannt an. »Na sag schon!«, meint Argyro.

»Weil sie hoch oben fliegen wie die Vögel, während wir unten grundeln wie die Fische. Wie soll man da zusammenkommen!«

Die drei Grazien lachen auf, für sie sind Adrianis Sentenzen noch etwas ganz Neues.

»Adriani, wie toll, dass wir dich getroffen haben!«, sagt Tassia.

»Hat sie immer gleich den passenden Spruch parat?«, will Argyro von mir wissen.

»Ja, und jetzt ist sie auch noch in heimischen Gefilden, und da ist sie besonders inspiriert«, erwidere ich.

Die anderen merken nicht, dass mir Adriani mir einen erzürnten Blick zuwirft.

»Jedenfalls seid ihr die ideale Ferienbekanntschaft! Wenn ich jemals noch ein böses Wort über Polizisten höre, werde ich sauer«, fügt Kalliopi hinzu.

Zufrieden starte ich den Seat, nachdem ich meinen Anteil an den Komplimenten eingeheimst habe. Diesmal fahre ich im Schritttempo, um die Fahrgäste und nicht zuletzt auch den Seat vor allzu heftigen Stößen zu bewahren.

Als wir im Hotel ankommen, eilen wir auf unsere Zimmer, um uns ein wenig zu erfrischen.

»Was sollte die Bemerkung über die heimischen Gefilde?«, sagt Adriani, sobald die Tür des Hotelzimmers ins Schloss fällt.

»Ich kann es nicht fassen«, sage ich. »Nach so einem anstrengenden Marsch bist du immer noch streitlustig?«

»Ehrlich gesagt bin ich aus der Übung«, gesteht sie. »Ich habe zwar nicht ständig gejammert, aber die Zähne musste ich schon zusammenbeißen. Allzu angenehm war die Wanderung nicht. Ich gehe jetzt zur Entspannung unter die Dusche.«

Ich warte, bis ich an der Reihe bin, und schlüpfe im Anschluss zu Adriani ins Bett. Schlagartig versinken wir beide im Tiefschlaf.

Erst, als es an der Tür klopft, schlage ich die Augen wieder auf. »Herr Kommissar, störe ich?«, höre ich eine Stimme flüstern.

Ich fahre aus dem Bett hoch und gehe zur Tür. »Nein, wir sind schon wach«, wispere ich, damit Adriani nicht aufwacht.

»Bleiben Sie im Hotel?«

»Nein, geben Sie uns eine halbe Stunde.«

»Gut, wir warten unten.«

»Wer war das?«, ertönt Adrianis Stimme hinter mir.

»Eine unserer Ferienbekanntschaften. Sie fragt, ob wir heute Abend im Hotel bleiben.«

»Natürlich nicht! Wir sind doch nicht hergekommen, um im Hotel zu hocken.«

Zwanzig Minuten später begeben wir uns in die kleine Lobby hinunter, die am Morgen als Frühstückraum dient. Obwohl uns die anderen geweckt haben, sind wir die ersten. Kurz darauf erscheint Argyro, und ein paar Minuten später folgen Kalliopi und Tassia.

Wir beschließen, essen zu gehen, und Kalliopi schlägt vor, in ein anderes Dorf zu fahren. »Wir wollten doch schon am Morgen einen Ausflug machen, aber die geflügelten Deutschen haben uns ganz aus dem Konzept gebracht.«

»Schön, und wohin soll es gehen?«, fragt Tassia. »Es gibt an die vierzig Zagori-Dörfer.«

»Adriani weiß bestimmt Rat«, meint Argyro.

»Dann fahren wir nach Kato Pedina, in mein Heimatdorf«, sagt Adriani. »Dort liegt eine alte Steinbrücke in der Vikos-Schlucht, die einen Besuch wert ist.«

»Ich würde ja gern mit meinem Auto hinfahren, aber leider kenne ich den Weg nicht und habe Angst, mich zu verfahren«, meint Tassia. »Vielleicht wollten Sie, Herr Kommissar, sich ans Steuer setzen? Sie kennen sich hier doch gut aus!«

Sie besitzt einen funkelnagelneuen Toyota, und ich habe keine Lust, mich von der ständigen Angst, einen Kratzer zu verursachen, stressen zu lassen.

»Nein, wir fahren besser mit meinem Wagen, um unliebsame Überraschungen zu vermeiden.«

Da niemand etwas dagegen hat, steigen wir alle wieder in den Seat. Ich hoffe inständig, dass er anspringt, und zum Glück enttäuscht er mich nicht.

»Wie fahren wir am besten?«, frage ich Adriani, die sich hier besser auskennt als ich.

»Über die Landstraße nach Ano Pedina«, antwortet sie. »Das ist der kürzeste Weg.«

Ich fahre zunächst auf die Landstraße und biege dann nach links nach Ano Pedina ab. Die Fahrzeit wäre nicht lang, käme man auf der schmalen, einspurigen Straße etwas schneller voran. Aber sie ist nur andeutungsweise asphaltiert, und alle fünfzig Meter muss man ausweichen, wenn es Gegenverkehr gibt.

Schließlich gelangen wir unter Adrianis Führung zum zentralen Dorfplatz von Messochori.

»Was ist das für eine Kirche?«, fragt Kalliopi und deutet auf einen Bau, der ein Stück entfernt am Straßenrand steht.

»Die Sankt-Athanassios-Kirche«, klärt Adriani sie auf.

»Wollen wir sie besichtigen?«

»Ja, aber später. Die Brücke in der Vikos-Schlucht sehen wir uns am besten noch vor der Dämmerung an.«

Wir lassen den Seat stehen und marschieren los. Adriani übernimmt die Führung, und wir folgen im Gänsemarsch wie die Pfadfinder.

Der sogenannte Wanderweg ist allerhöchstens ein Ziegenpfad. Keuchend kommen wir bei unserem Ziel an. Wir bleiben auf der alten Steinbrücke stehen und blicken uns um. Beiderseits erheben sich die Felsen der Vikos-Schlucht, unter uns verläuft ein ausgetrocknetes Flussbett.

Nicht nur die Damen bewundern die Landschaft. Auch ich selbst bin ganz bezaubert, ich hatte vergessen, wie schön es hier ist. ,Man könnte Stunden hier stehen und schauen, aber Adriani bringt uns auf den Boden der Tatsachen zurück. »Wir müssen umkehren, bevor es dunkel wird, sonst können wir den Weg nicht mehr erkennen.«

»Was wir Städter alles verpassen«, bemerkt Kalliopi.

»Tja, und was die Dörfler erst verpassen«, antwortet Adriani.

Wir schlagen den Rückweg ein. Mittlerweile haben wir uns an den Ziegenpfad gewöhnt und fühlen uns sicherer. Die Damen bestehen darauf, noch vor dem Essen die Sankt-Athanassios-Kirche zu besichtigen.

Ich füge mich ins Unvermeidliche und folge ihnen lustlos, da mir schon der Magen knurrt. Glücklicherweise ist die Besichtigung nur kurz, da man in der lichtlosen Kirche kaum etwas erkennen kann.

Ein Stück weiter erblicken wir auf dem Dorfplatz den Steinbau einer kleinen Taverne.

»Habt ihr damals im Sommer hier gegessen?«, fragt Tassia Adriani.

»Dafür reichte unser Geld nicht«, lautet die trockene Antwort meiner Frau.

Der Abend ist mild, und es sitzt noch eine weitere Gruppe im Gastgarten. Kalliopi schlägt vor, auch draußen zu bleiben.

»Erkälten wir uns nicht, wenn es gleich abkühlt?«, fragt Argyro.

»Nein, so schlimm ist es um diese Jahreszeit noch nicht. Wir haben ja Jacken dabei«, meint Adriani.

Die draußen sitzende Gesellschaft besteht aus der Fliegerin und den beiden Männern, die wir am Vormittag am Astraka getroffen haben. An ihrem Tisch hat noch ein deutsches Pärchen Platz genommen.

Unsere Bekannten geben uns lächelnd die Hand. Mit Argyros Hilfe stellen sie uns das Pärchen vor.

»Sie arbeiten auch an der Uni«, erläutert uns Argyro zusammenfassend.

Wir nehmen am Nebentisch Platz und bestellen Tsipouro, den einheimischen Tresterschnaps, nur Adriani ordert ein Glas Weißwein.

»Tsipouro!«, rufen die Deutschen dem Kellner zu, wobei sie ihre kleine Karaffe schwenken. Dann verwickeln sie Argyro in eine Unterhaltung auf Deutsch.

»Seit sie hier sind, trinken sie jeden Abend Tsipouro«, übersetzt Argyro. »Sie sind ganz verrückt danach.«

Der Kellner bringt die Salate und Grillgerichte. Schweigen macht sich an beiden Tischen breit, da alle sich auf das Essen konzentrieren. Nur sporadisch fliegen – mit Argyros Vermittlung – ein paar Sätze hin und her, aber mehr, um den höflichen Anschein zu wahren. Dann bringt uns der Kellner eine neue Karaffe Tsipouro.

»Aber wir haben doch gar nichts bestellt«, wundert sich Tassia.

»Spendiert vom Nebentisch«, erklärt der Kellner.

Die Deutschen helfen uns aus der Verlegenheit, indem sie ihre Gläser heben. »Jia mas!«, prosten sie uns einstimmig auf Griechisch zu.

»Zum Wohl und vielen Dank!«, gibt Kalliopi zurück. »Das war doch nicht nötig.«

Die Deutschen sagen etwas, und Argyro übersetzt. »Sie reisen morgen nach Deutschland zurück, weil die Uni wieder anfängt«, erklärt sie uns. »Die drei Männer müssen unterrichten, die Fliegerin und die andere Frau an ihren Forschungsvorhaben weiterarbeiten.«

»Auf ihren Höhenflügen haben sie hier die gute Luft genossen, aber jetzt kehren sie in ihre Büros zurück«, sagt Tassia. »Ehrlich gesagt, sind sie zu beneiden. Hoffentlich ist meinem Sohn auch so ein Schicksal beschieden.«

»Wie? Was? Vom Astraka herunterzufliegen?«, zieht Kalliopi sie auf.

»Tja, da hätte ich auch nichts dagegen. Es scheint ja richtig Spaß zu machen.«

Die Deutschen stehen auf und kommen herüber, um sich zu verabschieden. Wieder geben sie uns die Hand, und wir bedanken uns für die Einladung zum Tsipouro. Als sie gegangen sind, setzen wir uns wieder hin und trinken den spendierten Schnaps aus.

Text: Petros Markaris. Übersetzung: Michaela Prinzinger. Auszug mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus dem Roman «Drei Grazien. Ein Fall für Kostas Charitos«, Diogenes Verlag 2018.

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