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Mein Griechenland

Artikel von Michaela Prinzinger in der Zeitschrift «Η γνώση ταξιδεύει… ελληνικά», die sich an Griechischlernende richtet und nun schon zum 8. Mal, unterstützt vom Schweizerischen Verein Dia.Logos unter der Leitung von Dimitra Chalazia, in Bern erscheint.

Das aktuelle Heft steht unter dem Motto „Mein Griechenland“ und enthält Texte von Kulturschaffenden, die sich zu diesem Thema äußern wie etwa die Sängerin Eleftheria Arvanitaki, der Autor Thodoris Kallifatidis, der Filmemacher Costas Gavras und die beiden Übersetzer Michaela Prinzinger und Michel Volkovitch.

Zielpublikum der Zeitschrift sind Menschen, die mithilfe von Kulturthemen ihre Griechischsprachkenntnisse verbessern wollen. Die meisten Artikel sind auf Griechisch geschrieben, einige auch auf Deutsch und Französisch. Auf der Webseite dia-logos.ch kann man ein entsprechendes Lexikon zum Heft auf Englisch, Französisch und Deutsch finden.

Mein Griechenland

„Meine Mutter kommt aus Thessaloniki.“ So hatte es mein Vater seiner Friseurin erzählt. Das war zwar eine charmante Lüge, aber sie klang angesichts der dunklen, lockigen Haarpracht meines Vaters überzeugend. Mit dieser kleinen Lüge fing alles an. Wir machten unseren ersten Familienurlaub nach Griechenland, und zwar – wie auch anders? – nach Thessaloniki.

Das führte dazu, dass ich mich – ganz ohne Vorkenntnisse humanistischer Bildung mit Altgriechisch-Kenntnissen – für die griechische Sprache und Kultur zu interessieren begann. Was mich daran anzog, war der Klang der Worte und die Lebendigkeit der Sprecher. Damals, mit 17 oder 18, wollte ich eine Andere werden durch das Lernen einer Fremdsprache. Bald erkannte ich jedoch, dass ich meinem eigenen Ich nicht entkommen konnte, auch wenn ich tief in eine andere Sprache eintauchte.

Was mich heute an der griechischen Sprache reizt, wenn ich literarische Texte ins Deutsche übersetze, ist die Tatsache, dass ich mich im Grunde mit meiner Muttersprache auseinandersetze. Ich beginne, über einzelne Wörter, Redewendungen und Zusammenhänge nachzudenken, was ich im Alltag natürlich nie tue. Und immer wieder komme ich – dank meiner umfangreichen Duden-Bibliothek – dahinter, dass ich Sinn und Bedeutung von deutschsprachigen Ausdrücken falsch verstanden habe.

Griechenland und die griechische Sprache und Kultur sind damit in gewisser Weise ein Vehikel zur Selbstfindung. Aber das geht bestimmt vielen Menschen aus dem deutschsprachigen Raum ähnlich.

Was mir in den letzten Jahren sehr am Herzen liegt, ist eine Modernisierung des Griechenland-Bildes und eine Imageveränderung. Für mich war die Beobachtung der gegenseitigen Wahrnehmungsmechanismen in Presse, TV und Sozialen Medien überaus aufschlussreich. Das hat mich motiviert, einen neuartigen zweisprachigen Kommunikationskanal einzurichten, der auf bürgerschaftliches Engagement setzt: www.diablog.eu, die zweisprachige deutsch-griechische Kulturwebsite. In Kulturfragen ist die Zivilgesellschaft genauso gefordert wie staatliche Organe, Stiftungen und die Privatwirtschaft. Kultur ist kein passives Konsumieren, sondern aktives Mitmachen.

Unser Credo ist: Was den deutsch- und griechischsprachigen Raum am meisten verbindet, ist das zeitgenössische Kulturschaffen. Darin stellen wir uns den aktuellen Fragen unserer Zeit und heben sie auf eine ganz andere Reflexionsebene, als wenn wir bloß am Stammtisch darüber diskutieren. diablog.eu ist somit ein Modellversuch – weg von alten Klischees und festgefahrenen Wahrnehmungsweisen. Eines meiner Ziele ist, dass zeitgenössische griechische Literatur einfach als gute Literatur wahrgenommen wird, und nicht mit folkloristischen Bildern, Motiven und Argumenten angepriesen werden muss.

Übersetzer sind Brückenbauer, die durch ihr Spezialwissen den Zugang zu einer anderen Mentalität und Denkweise ermöglichen. Sie kultivieren eine Ebene des Umgangs miteinander, die auf gegenseitigem Respekt und kritischer Reflexion fußt. Der Dialog zwischen dem deutsch- und griechischsprachigen Raum ist ein Modellfall für die – mehr oder weniger gelungene – Kommunikation innerhalb Europas. Daraus können wir lernen, wie wir uns als Europäer näherkommen können.

Cover Ellinika 8-1Text: Michaela Prinzinger, erschienen in: «Η γνώση ταξιδεύει… ελληνικά», Nr. 8, 2017. Foto: Ivar Schute, aufgenommen im Antiken Theater von Aigira, Peloponnes.

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