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Lefteris Poulios: Amerikanische Bar in Athen

Lefteris Poulios, geb. 1944 in Athen, ist eine Ausnahmeerscheinung in der griechischen Poesie, denn er wurde vom Underground-Poeten der Sechziger und Siebziger zum Staatspreisträger für Lyrik 2008.

Nach seinen Anfängen auf den Spuren der amerikanischen Beatniks und der psychedelischen Kultur, nach Grenzerfahrungen zwischen Wahn und Wirklichkeit, Visionen und psychiatrischer Behandlung wandelte sich Poulios´ Stil von der großen rhetorischen Geste zu einer neuen Innerlichkeit. Diejenigen, denen seine frühen Gedichte zu vulgär sind, finden Gefallen an der abgespeckten Form. Andere wieder trauern der rohen Wildheit nach und können sich mit dem geläuterten Poulios nicht anfreunden. Doch Poulios bleibt überall unverwechselbar, authentisch, unverstellt, einfach er selbst.

1989 habe ich ihn mit einem befreundeten Literaturkritiker besucht, gerade war sein Gedichtband „Unwesentliches“ erschienen, gewissermaßen ein Wendepunkt in seinem Schaffen. Davor war er ohne jede Rücksicht eingetaucht in die Welt der radikalen Gefühle und politischen Botschaften. Egal, was er selbst behauptet, ich sehe ihn als Seelenverwandten der Grenzgänger Karyotakis und Hölderlin. Der Poet ist bei ihm kein Verwalter intellektuellen Wissens, sondern ein Gratwanderer, eine Protest-Stimme, ein Unangepasster. In seinem frühen Gedicht „Amerikanische Bar in Athen“ hält er eine literarische Schmährede auf Kostis Palamas im Stil von Allen Ginsbergs „Howl“, eine trunkene Tirade des literarischen Enkels auf den Ahnvater, der – jeglichen Mythos´ beraubt – durch das Dunkel der Großstadt torkelt.

Amerikanische Bar in Athen

Inmitten derer, die mit ratlosen Gesichtern durch die Straßen irren,
hab ich heut Abend dich erblickt, Kostis Palamas,
als ich auf und ab spazierte, betrunken und frustriert,
auf der Suche nach einer Hure, einem Freund oder der Auferstehung.
Diese Schaufenster! Und was für ein Mond! Eine bunte Menge
flanierte durch die Nacht, Metallhunde gab´s, die hupten,
Katzen an Mülltonnen, und du, Verne, Geschichtenerzähler,
was suchst du am Eingang zum Wohnblock?
Ich kann deine Gedanken fühlen, Kostis Palamas, du komischer
alter Saufkopf, als du die Bar betreten,
zu den Huren rübergeschielt und einen
doppelten Whisky getrunken hast. Ich folgte dir durch
Rauchschwaden und Gekicher wegen meines Frauenhaars
und nahm Platz, damit du mir
am hölzernen Tresen einen ausgibst,
neben uns nur reglose Gestalten.
Wir beide sind die Lebendigsten von allen in dieser Nacht.
Misstrauisch äugen die Spitzel nach uns
und in einer Stunde gehen die Lichter aus.
Wer schleift uns nach Haus?
Kostis Palamas, einsamer Krakeeler, unseliger Erbe.
Was hast du dem Griechentum nicht alles eingebläut
mit feurigem Donnerhall, auf dem Gipfel der Hoffnung,
bis jäh die Nacht wie eine Klinge
aus dem Messer sprang. Da bliebst du zurück
auf deinem Stuhl, wie gelähmt, während die Vision
einer dampfenden Morgenröte heraufdämmerte.
Wie ein Schuljunge fühle ich mich, der einen verbiesterten
Lehrer hat. Schon lange denke ich darüber nach, was ich
mit dir anfangen soll. Grässlicher, alter Köter,
wie wär´s, kotzen wir den heutigen Dusel
vor die Türen aller geschlossenen Buchläden,
pissen wir an alle Statuen Athens,
nur nicht an die von Rigas – vor der verneigen wir uns tief.
Und dann geht jeder seiner Wege,
wie Großvater und Enkel, mit einem Fluch
auf den Lippen. Sei auf der Hut vor meinem Wahn,
Alter, gehst du mir auf den Geist,
bring ich dich um.

Text: Lefteris Poulios, aus: Dichtung 2, 1973. Übersetzung: Michaela Prinzinger. Lektorat: Ina Kutulas.

Lefteris Poulios, geb. 1944 in Athen, veröffentlichte 1969 seinen ersten Gedichtband. Schon bald profiliert er sich als Stimme gegen die Militärdiktatur. 1973 folgt sein zweiter Gedichtband, der wiederum stark von seinen politischen Erfahrungen geprägt ist. Sein individueller, auffälliger Stil steht unter dem Einfluss der amerikanischen Beatniks. Ab den Achtziger-Jahren ändert sich seine Schreibweise, hin zu etwas gemäßigteren Tönen, ohne ihre Authentizität und Ausdruckskraft zu verlieren. Bis heute hat er über zehn Gedichtbände herausgebracht, für Geheime Sammlung (2008) erhielt er den Griechischen Staatspreis für Lyrik.

Weitere Gedichte von Lefteris Poulios in der Übersetzung von Michaela Prinzinger finden Sie im Band 249, 2013, der Zeitschrift „Die Horen“. Foto: Michaela Prinzinger.

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