Artikel von Sylvie-Sophie Schindler in der Wochendbeilage des Münchner Merkur vom 14./15. Oktober 2017 über das Übersetzer-Handwerk am Beispiel der Kollegen Stephan Kleiner, Ulrich Blumenbach, Isabel Bogdan, Christel Kröning und Michaela Prinzinger.
Klingelt bei Stephan Kleiner in München jemand vom Paketdienst, öffnet er und versucht, den Lieferanten in ein Gespräch zu verwickeln. Einfach nur, um mal wieder mit einem Menschen zu sprechen. Denn oft vergeht Tag um Tag ohne eine einzige Begegnung. Als der Literaturübersetzer beispielsweise den 960 Seiten dicken, in den USA preisgekrönten Roman „Ein wenig Leben“ (Verlag Hanser 2017), verfasst von der US-Schriftstellerin Hanya Yanagihara, ins Deutsche übertragen hat, verbrachte er gut fünf Monate in Klausur.
„Man muss sich abschotten, sonst geht das nicht“, sagt der 42-Jährige. Von der Stadt, in der er seit ein paar Jahren lebt, könnte er schon mehr gesehen haben, wäre da nicht sein Job. „Mein Beruf ist ein einsamer Beruf“, sagt Kleiner. Anstrengend außerdem. „Eine Art Marathonlauf“. In Etappen gehe es voran. „Es ist Höchstkonzentration erforderlich, man muss um jeden Satz ringen.“
Kleiner hat zwar auch „In Schopenhauers Gegenwart“, das neueste Buch des französischen Skandalautors Michel Houellebecq, übersetzt, aber vorrangig befasst er sich mit englischen Werken. Andere aus anderen Berufen sagen schon mal: „Ach so, bloß aus dem Englischen“. Dann fühlt sich Kleiner verkannt. „Klar ist es etwas anderes, wenn man aus dem Afrikanischen übersetzt, aber ein Übersetzer dringt tief in Sprache ein, mehr als sonst jemand, und auch das Englische hat seinen ganz eigenen Charakter“, erklärt der Wahlmünchner.
Dass Wort für Wort übersetzt werde, sei eines der großen Missverständnisse. Es genüge nicht, die Sprachen zu kennen, man müsse auch die Atmosphäre einer Geschichte und die Kultur des jeweiligen Landes einbeziehen. Es gehe also nicht nur darum, den Text aus seiner ursprünglichen Form herauszulösen und zu übertragen in eine neue Form in einer anderen Sprache, die anderen Gesetzen folge. „Wir übersetzen nicht nur Texte, sondern auch die Mentalität eines Volkes“, so Kleiner.
Im Verhältnis zum Deutschen sei das Englische oft knapper und komme mit weniger Relativsätzen aus. In dieser Wortkargheit stecke mitunter ein gewisser Witz. Nicht zufällig, sondern gewollt. Und weil der Engländer sich lieber kurz ausdrücke, neige er auch zu kreativen Neuschöpfungen, in denen das viele, was man mitteilen will, komprimiert hineingepackt werde. Mit der Beschreibung eines Kleidungsstücks etwa wird der ganze Kosmos mitgeliefert, in dem die Menschen leben, die es tragen. Ein Beispiel? Das Wort „wifebeater“. Zum einen ist damit ein ärmelloses Unterhemd, auf Neudeutsch Tank Top, gemeint. Wortwörtlich aber versteht der Engländer darunter einen Mann, der seine Frau verprügelt.
Fast jedes zweite belletristische Buch ist heute eine Übersetzung. Laut Börsenverein des Deutschen Buchhandels sind 2016 in Deutschland ca. 9900 übersetzte Bücher erschienen, die meisten wurden aus dem Englischen übertragen, gefolgt von Französisch. Übersetzer sind, und das ist den meisten nicht bewusst, auch Urheber eines Werkes. Der verstorbene Nobelpreisträger José Saramago sagte einmal: „Weltliteratur wird von Übersetzern gemacht“. Man stelle sich vor, wie viele Werke beim Leser durchfallen würden, wenn die Übersetzer nicht einen guten Job erledigten. Umso bedauerlicher ist es, dass ihre Arbeit nur wenig wahrgenommen und noch seltener gewürdigt wird.
„Warum sind wir so unsichtbar?“ Diese Frage stellt sich nicht nur Isabel Bogdan, die sich als Übersetzerin von u. a. Nick Hornby einen Namen gemacht hat. In einem Kommentar im Internet macht sie ihrem Ärger Luft: „Selbst in der Verlagswerbung liest man: „… ist jetzt bei uns auf Deutsch erschienen“. Ach ja? Uns ist eine Übersetzung erschienen? Nein, sie ist doch nicht vom Himmel gefallen! Da hat jemand monatelang Herzblut und Hirnschmalz hineingesteckt.“
Für die Belange von Literaturübersetzern tritt seit 1954 der Verband deutschsprachiger Übersetzer (VdÜ) ein, der seit 1979 alle zwei Jahre den Hieronymus-Ring als Auszeichnung für herausragende übersetzerische Leistungen vergibt. Der Preis bezieht sich auf den Kirchenvater Hieronymus (347-420 n. Chr.), der als Schutzpatron der Übersetzer gilt und die Bibel aus dem Hebräischen ins Griechische und Latein übertragen hat. „Übersetzte Literatur bildet einen nicht unerheblichen Wirtschaftsfaktor“, erläutert Verbandssprecherin Christel Kröning.
Doch wie viel der Einnahmen gehen letztlich an den Übersetzer? Es ist kein Geheimnis: Literaturübersetzer werden schlecht bezahlt. Laut Angaben des VdÜ liegt das durchschnittliche Bruttoeinkommen bei 1000 Euro monatlich. An einigen Universitäten wird der Diplomstudiengang Übersetzung zwar angeboten, doch der Beruf ist ungeschützt. Die meisten, die den Job machen, sind Quereinsteiger, und haben etwa als Lektor – wie auch Stephan Kleiner – begonnen. Wenn der 42-Jährige meint, dass Übersetzer „nicht genügend gewürdigt“ würden, klingt das so, als gehöre das eben mit dazu. Was nicht bedeute, dass er sich damit abgefunden habe. Kleiner: „Im Grunde bin ich ja ein halber Schriftsteller, auch wenn ich letztlich hinter dem Originalautor verschwinde.“
Ulrich Blumenbach ist Träger des Hieronymus-Ringes des Übersetzerverbandes: Er übertrug den fast 1600 Seiten umfassenden Roman „Infinite Jest“ von David Foster Wallace ins Deutsche. Für „Unendlicher Spaß“, so der Titel, brauchte Blumenbach sechs Jahre. Das Honorar lag bei 50 000 Euro. Mit Wallace ist es ähnlich wie mit James Joyce: seine Werke gelten mitunter als unübersetzbar.
In „Unendlicher Spaß“ finden sich viele eigene Wortkreationen und 28 Fachsprachen, unter anderem aus der Mathematik, Botanik und Architektur. Für manche Buchpassage saß Blumenbach tagelang in der Bibliothek. Das älteste verwendete Wort entstammte dem frühen 18. Jh. Eine der Wortschöpfungen von Wallace lautet z. B. „Halluzinogenivore“. Damit wird jemand bezeichnet, der Drogen nimmt. Eine Analogie zu Carnivore, Fleischfresser. Ohne Nebenbei- Übersetzungen, Stipendien vom Deutschen Übersetzungsfonds und Unterstützung des Vaters hätte Blumenberg nach eigener Aussage den Job nicht machen können.
Die aus Österreich stammende Übersetzerin Michaela Prinzinger sieht in ihrer Tätigkeit noch eine andere, aus ihrer Sicht kaum wahrgenommene Aufgabe: „Wir sind Brückenbauer zwischen den Kulturen.“ Die mit dem österreichischen Staatspreis ausgezeichnete 54-Jährige hat sich auch mit ihrem Netzportal www.diablog.eu dem Dialog zwischen dem deutsch- und dem griechischsprachigen Raum verschrieben. „Ich hatte das Glück, mit Petros Markaris das große Los zu ziehen“, sagt sie. Markaris gilt als einer der bekanntesten zeitgenössischen Autoren aus Griechenland im deutschsprachigen Raum. 14 seiner Bücher hat Prinzinger ins Deutsche übertragen.
Im Zentrum der Krimis steht Kostas Charitos, sozusagen das übler gelaunte Pendant zu Donna Leons Commissario Brunetti. Klar, auch ein griechischer Kommissar löst seine Fälle, aber Markaris gelingt noch mehr, er schafft Bestandsaufnahmen aktueller griechischer Befindlichkeit.
Im 2016 auf Deutsch erschienenen Fall „Zurück auf Start“ – das Original kam 2012 heraus – heißt es beispielsweise über die Folgen der Finanzkrise: „Ihr muss klar geworden sein, dass das Land nicht zu retten ist, auch nicht von Albanern, die die Uhr zurückdrehen wollen. Griechenland mag unsterblich sein, wie es in unserer Nationalhymne heißt, aber es verändert sich auch nicht, und schon gar nicht zum Guten.“
Die griechische Sprache ist reich an Metaphern und Parabeln. „Würde ich das eins zu eins übersetzen, dann käme der deutsche Leser damit nur schwer zurecht“, findet Prinzinger, die neben Neu- auch Altgriechisch und das Griechisch des Mittelalters studiert hat. Das Erzählen im Deutschen sei geradliniger, weniger „blumig“. Nicht immer scheint eine Übersetzung möglich.
„Es gibt ein griechisches Wort, das eine ausholende Bewegung beschreibt, in der die Hand mit fünf ausgespreizten Fingern auf das Gesicht einer Person zeigt: die Mountza“, erklärt Prinzinger. Eine schwere Beleidigung. Als in einer Erzählung diese Geste wiederholt vorkam, führte die Übersetzerin die „Mountza“ erfolgreich als völlig neue Vokabel in die deutsche Sprache ein. „Das macht einen stolz“, sagt sie.
Foto: Aus Serie „Game Of Thrones“; Tyrion Lannister, dargestellt vom kleinwüchsigen US-Schauspieler Peter Dinklage, ist eine der Hauptfiguren im Film.
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