Markaris-Tagung FU, 23.6.16_2

Petros Markaris, gesehen durch die Augen seiner Übersetzerin

Zusätzlich zu einem Artikel von Chrysa Vachtsavanou über Petros Markaris und seine Übersetzerin, der am 12. 10. 2020 bei der Deutschen Welle erschien, lesen Sie nun hier ihr vollständiges Interview mit Michaela Prinzinger.

Ich möchte mit einer Frage beginnen, die mir erst kürzlich zu Bewusstsein gekommen ist und dem breiteren Publikum vermutlich gar nicht richtig klar ist: In welchen Sprachen schreibt Petros Markaris? Wenn wählt er die griechische, wann die deutsche Sprache?

Markaris hat mir in einem Interview einmal Folgendes gesagt: „Ich bin von Natur aus ein Mensch, der in einem >Schwebezustand<, in einem >Niemandsland< lebt. Ich bin das Kind einer gemischten Familie: Mein Vater war Armenier, meine Mutter Griechin. Ich bin in Istanbul aufgewachsen, aber auf ein österreichisches Gymnasium gegangen, habe dann in Wien gelebt und lebe jetzt in Griechenland. Eine wilde Mischung, sozusagen. Immer wieder spüre ich dieses >Niemandsland< und sage: Redet mir nicht von Heimat, weil dieser Begriff sagt mir nichts, absolut nichts! Wenn das ein Grieche hört, schüttelt er sich vor Grausen. Aber ich habe mich an den Zustand gewöhnt, nirgendwohin zu gehören.“

Petros Markaris schreibt seine literarischen Texte auf Griechisch, Zeitungsartikel und Essays auf Deutsch, dazu spricht er sehr gut Türkisch. Der Entschluss, sich der deutschen Sprache zu widmen, war, wie er selbst sagt, ein Zufall und ein Irrtum. Interessanterweise war die Entscheidung des Vaters, ihn auf das österreichische Sankt-Georgs-Kolleg in Istanbul zu schicken, ökonomisch und nicht kulturell motiviert. Der Vater sah Deutschland als die zukünftige bestimmende Wirtschaftsmacht.

Markaris stand vor der Wahl, welche Sprache er zu seiner Literatursprache wählt, und die Wahl fiel auf das Griechische. Wenn man selbst die Wahl hat, für welche Kultur man sich entscheidet, ist das etwas anderes, als hineingeboren zu werden. Freunde wählt man sich selbst, die Familie nicht. In Markaris’ Roman „Zurück auf Start“ fungiert ein Isokrates-Zitat als Motto: Grieche sei man nicht durch Geburt, sondern durch Teilhabe an der griechischen Bildung. Also ein antinationalistisches Statement par excellence…

Petros Markaris’ neuester Kriminalroman «Mord ist Geld» ist im Juni 2020 auf Griechisch erschienen. Wann beginnen Sie die deutsche Übersetzung?

In diesem Fall fange ich jetzt im Herbst mit der Übersetzung an, die bis Mitte/Ende Februar fertig sein soll. Immer wieder fragen Leser und Leserinnen, warum die deutsche Übersetzung nicht zeitnäher oder fast zeitgleich zum griechischen Original erscheint. Verlage im deutschsprachigen Raum planen sehr langfristig, es gibt klassischerweise das Frühjahrs- und das Herbstprogramm und die Titel werden sehr bewusst platziert. Es gibt Standardabgabetermine für die Übersetzung, üblicherweise September/Oktober fürs Frühjahrsprogramm und Februar/März fürs Herbstprogramm. Es gibt also einen Vorlauf von Übersetzung, Lektorat, Korrektorat, Setzen, Fahnenkorrektur und Druck, der sich bald ein Jahr hinzieht. Wenn also das Original im Juni erscheint, könnte es nur durch ein Wunder bis September/Oktober fertig übersetzt sein und im Frühjahr erscheinen. Natürlich gibt es Weltbestseller, die sehr schnell in Übersetzung erscheinen, das geschieht dann in Akkordarbeit durch mehrere Übersetzer.

Das heißt, es liegt doch einige Zeit zwischen der Publikation des griechischen Originals und Ihrer Übersetzung. Ist das ein Vorgehen, das sich nach und nach so entwickelt hat? Haben Sie beide je gleichzeitig geschrieben und übersetzt?

Es ist üblich, die publizierte Fassung eines Werks zu übersetzen und keine Manuskripte. Es hat sich als praktikabel erwiesen, nicht sozusagen „gleichzeitig“ mit der Entstehung des Originals bereits die Übersetzung anzufertigen. Allerdings muss ich meine Bewunderung für Markaris ausdrücken: Einmal, bei einem der frühen Romane, haben wir dieses Experiment gemacht und ich fand toll, wie durchdacht der Autor im kontiunierlichen Schreibfluss alle seine Fährten legt. Schlussendlich jedoch ist es arbeitstechnisch ökonomischer, mit dem fertigen Text zu arbeiten, da man sich zusätzliche Korrekturen erspart.

Wie hat sich Ihre Zusammenarbeit entwickelt? Wurde sie im Verlauf der Zeit nicht durch die der Weiterentwicklung der neueren Technologie beeinflusst? In welcher Sprache kommunizieren Sie miteinander?

1995 erschien Petros Markaris‘ erster Roman in Griechenland, und es muss im Jahr 1999 gewesen sein, als ich zum ersten Mal einen Text des Autors las. Vom Schweizer Diogenes Verlag waren mir nämlich die ersten beiden Kapitel aus seinem Buch „Nychterino Deltio“ – wörtlich: „Nachtjournal“ – zugeschickt worden.

Wenn ich daran zurückdenke, wird mir bewusst, wie sehr sich Schreiben und Übersetzen seit den 90er-Jahren verändert haben. Noch in der Schulzeit lernte ich auf einer alten Remington das Zehn-Finger-System der Schreibmaschinenschrift, bevor die ersten elektronischen Schreibmaschinen, die schon einen kleinen Speicher hatten, das mühsame Schreiben und Verbessern mit Tipp-Ex revolutionierten. Nach dem ersten Commodore besaß ich Anfang der 90er-Jahre den ersten Apple, der einen Bildschirm wie ein Mauseloch hatte. Apple musste man damals haben, weil das Mac-Betriebssystem damals verschiedene Sprachsysteme – wie Deutsch und Griechisch – am besten managen konnte.

Meine ersten Übersetzungen wurden selbst Ende der 90er-Jahre noch als ausgedruckte Manuskripte verschickt, dann folgte die Revolution der Disketten, dann die des E-Mail-Versands. Das waren umwälzende Neuerungen, gleichwertig mit der Erfindung des Buchdrucks. Dadurch sind unser Schreiben und unser Übersetzen unter Zeitdruck geraten. Alles muss aktueller, schneller, perfekter sein als früher. Dabei ist das Übersetzen eine anachronistische techne, das heißt Handwerk und Kunst in einem. Nur das Produktionsumfeld von Schreiben, Übersetzen oder (Selbst-)Lektorieren ist beeinflussbar. Der mentale, psycholinguistische Akt hingegen, der diesen Tätigkeiten zugrunde liegt, kann durch die moderne Technik nicht beschleunigt werden.

Meine Zusammenarbeit mit Petros Markaris wurde durch die Digitalisierung des Schreibens und Übersetzens geprägt. Bei Erscheinen der ersten Bücher wohnte Petros Markaris noch am Athener Ares-Park mit einem wunderbaren Blick auf die Grünanlage. Es gab noch persönliche Treffen zur Besprechung der offenen Fragen. Später entwickelte sich unser Kontakt immer mehr zu einem digitalisierten geistigen Austausch, wobei meine Fragen und Ergänzungen direkt als Kommentar in den Text eingefügt werden, die der Autor dann kommentiert, akzeptiert oder löscht. Unsere Arbeitssprache ist vorwiegend Deutsch.

Die Kriminalliteratur ist beim deutschsprachigen Publikum überaus beliebt. Sie als Übersetzerin haben Markaris’ Werke eingehend studiert: Was ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür, dass dieser Autor im deutschsprachigen Raum so gut ankommt?

Ein Merkmal der Unterhaltungs- und Kriminalliteratur ist die Serienbildung, die Schaffung wiedererkennbarer Figuren eines Kommissars oder eines Detektivs, es wird Spannung aufgebaut und es wird ein Rätsel gelöst. Andererseits ist der Krimi als populärer Lesestoff auch ein Gesellschaftsroman, der das Augenmerk auf soziale Missstände legt und eine kritische Position zu verschiedenen Phänomenen der Gegenwart (Macht der Medien, Umweltverschmutzung, Korruption, Verlogenheit der Politiker, Vergangenheitsbewältigung, Wirtschaft-, Finanz- und Gesellschaftskrise) einnimmt. 2005 hat Petros Markaris mit dem Roman „Live!“ in der Kategorie International des renommierten Deutschen Krimi Preises den 3. Platz hinter Ian Rankin und Arne Dahl eingenommen. Das heißt, auch er hatte einen eigenwilligen, wiedererkennbaren Stil gefunden, der sich vor allem in der Serienfigur Kommissar Charitos und in seiner Sichtweise der Welt, seinem Witz und seinen sprachlichen Bildern äußert.

Markaris gelingt es, das Wahrnehmungsproblem, das die zeitgenössische griechische Kulturproduktion im Allgemeinen hat, zu „umgehen“ oder zu „knacken“. Natürlich ist es der Roman, der die Verlage (und anscheinend auch die Leser) am meisten interessiert. Erzählungen sind schon wesentlich weniger gefragt, und Lyrik bleibt einer kleinen, unerschrockenen Sekte vorbehalten. Petros Markaris ist fraglos der bekannteste und beliebteste griechische Gegenwartsautor. Das liegt auch daran, dass sein Verlag ihn gut „pflegt“ und ihn geschickt promotet. Zudem spricht er Deutsch und ist für die hiesigen Medien zum begehrten Ansprechpartner und Griechenland-Erklärer geworden. Markaris gelingt es, durch seinen humoristischen Blick und durch seine distanzierte Haltung, die seinem kosmopolitischen biografischen Hintergrund entspringen, Griechenland dem deutschsprachigen Leser nahezubringen. Dabei spricht er wiedererkennbare, globale Themen an, mit denen sich der Leser sowohl im griechischsprachigen als auch im deutschsprachigen Raum identifizieren kann.

Das Beitragsbild zeigt Petros Markaris mit seinem Übersetzer ins Italienische Andrea di Grigorio und seine Übersetzerin ins Deutsche Michaela Prinzinger.

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