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Deutsch-griechische Befindlichkeiten: Übersetzer als Brückenbauer und Kulturpolitiker

Vortrag zum Nachlesen und „Nachhören“ (auf Video) von Michaela Prinzinger anlässlich der Veranstaltung: Hommage à Petros Markaris am 23. April 2016 an der FU Berlin. Eine Veröffentlichung des Tagungsbandes in der Edition Romiosini ist geplant.

1995 erschien Petros Markaris‘ erster Roman in Griechenland, und es muss im Jahr 1999 gewesen sein, als ich zum ersten Mal einen Text des Autors las. Vom Schweizer Diogenes Verlag waren mir nämlich die ersten beiden Kapitel aus seinem Buch „Nychterino Deltio“ – wörtlich: „Abendschau“ – zugeschickt worden.

Wenn ich daran zurückdenke, wird mir bewusst, wie sehr sich Schreiben und Übersetzen seit den 90er-Jahren verändert haben. Noch in der Schulzeit lernte ich auf einer alten Remington das Zehn-Finger-System der Schreibmaschinenschrift, bevor die ersten elektronischen Schreibmaschinen, die schon einen kleinen Speicher hatten, das mühsame Schreiben und Verbessern mit Tipp-Ex revolutionierten. Nach dem ersten Commodore besaß ich Anfang der 90er-Jahre den ersten Apple, der einen Bildschirm wie ein Mauseloch hatte. Apple musste man damals haben, weil das Mac-Betriebssystem damals verschiedene Sprachsysteme – wie Deutsch und Griechisch – am besten managen konnte.

Meine ersten Übersetzungen wurden selbst Ende der 90er-Jahre noch als ausgedruckte Manuskripte verschickt, dann folgte die Revolution der Disketten, dann die des E-Mail-Versands. Das waren umwälzende Neuerungen, gleichwertig mit der Erfindung des Buchdrucks. Dadurch sind unser Schreiben und unser Übersetzen unter Zeitdruck geraten. Alles muss aktueller, schneller, perfekter sein als früher. Dabei ist das Übersetzen eine anachronistische techne, das heißt Handwerk und Kunst in einem. Nur das Produktionsumfeld von Schreiben, Übersetzen oder (Selbst-)Lektorieren ist beeinflussbar. Der mentale, psycholinguistische Akt hingegen, der diesen Tätigkeiten zugrunde liegt, kann durch die moderne Technik nicht beschleunigt werden.

Meine Zusammenarbeit mit Petros Markaris wurde durch die Digitalisierung des Schreibens und Übersetzens geprägt. Bei Erscheinen der ersten Bücher wohnte Petros Markaris noch am Athener Ares-Park mit einem wunderbaren Blick auf die Grünanlage. Es gab noch persönliche Treffen zur Besprechung der offenen Fragen. Später entwickelte sich unser Kontakt immer mehr zu einem digitalisierten geistigen Austausch, wobei meine Fragen und Ergänzungen direkt als Kommentar in den Text eingefügt werden, die der Autor dann kommentiert, akzeptiert oder löscht.

In „Existenzielle Etüden“ aus dem autobiografischen Essayband „Wiederholungstäter“ erzählt Petros Markaris, das Übersetzen habe ihn sein Leben lang begleitet, die Übersetzung sei – im Gegensatz zu Theater und Drehbuch – seine lebenslange Weggefährtin, mit der er in einer engen, fast eheähnlichen Beziehung lebe. Petros Markaris hat allerdings Theaterstücke übersetzt und keine Prosa. Theaterstücke übersetzt man, vermute ich, nicht monatelang, Prosa hingegen schon. Die Übersetzung begleitet mich über einen längeren Zeitraum, wird Teil meines Alltags und Stück meines Lebens. Übersetzer und Autor stehen in einem seltsamen Verhältnis zueinander. Markaris liest bei Lesungen im deutschsprachigen Raum aus meinem deutschen Text, der gewiss noch seiner ist, ihm jedoch nicht mehr allein gehört. Also geht es um Verantwortung – und um Vertrauen.

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Andrea di Gregorio (Übersetzer ins Italienische), Petros Markaris, Michaela Prinzinger (Übersetzerin ins Deutsche)

Durch die monatelange Beschäftigung und die intensive Auseinandersetzung gewinnt das Verhältnis des Übersetzers zu „seinen“ Autoren durchaus einen „eheähnlichen Charakter“. Das permanente Sich-Einfühlen in die Gedankenwelt des anderen endet immer wieder bei der Frage von Verantwortung und Vertrauen – in meine eigenen übersetzerischen Entscheidungen und in die gefühlvolle „Introspektion“ des Lektorats.

Die deutsche Übersetzung spielt eine spezielle Rolle bei den Markaris-Romanen. Der Autor selbst nimmt an der deutschen Übersetzung gewisse Streichungen vor und das Lektorat trifft anhand der deutschen Übersetzung Entscheidungen für die anderssprachigen Editionen. Nirgendwo sonst spielt das Lektorat eine so große Rolle wie im deutschsprachigen Raum.

Nicht umsonst erläutert Petros Markaris den Etüdencharakter der Übersetzung als bedeutende sprachliche Übung. Der große Unterschied zwischen Schreiben und Übersetzen sei folgender: Der Schriftsteller müsse sich nur mit einer Sprache (also mit seinem eigenen schriftstellerischen Stil) auseinandersetzen, der Übersetzer müsse viele beherrschen (also viele verschiedene Stile vieler verschiedener Autoren, die er sich zueigen machen muss). Petros Markaris ist ein Brückenbauer und Kulturpolitiker, wie ich das in der Folge definieren möchte, par excellence. Das ist einerseits durch seine Biografie und andererseits durch seine Tätigkeit als Autor und Übersetzer begründet.

In den letzten Jahren ist das Verhältnis zwischen dem deutsch- und dem griechischsprachigen Raum zu einem beispielhaften Paradigma für Kulturpolitik geworden. Hier spielt Petros Markaris eine hervorragende Rolle. Die Verleihung der Goethe-Medaille 2013 und des Bundesverdienstkreuzes 2014 sind Zeichen der Anerkennung dafür. Markaris spricht in seiner Dankesrede zur Verleihung der Goethe Medaille von einer 65-jährigen Liebe und Treue zur deutschen Sprache und Literatur. Die Stadt Istanbul mit ihrer Multikulturalität habe ihn das kulturelle Brückenbauen gelehrt.

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Petros Markaris, ©Josefina Markarian

Ihr und ihrer Diversität hat er im Roman „Kinderfrau“ und in der langen Erzählung „Drei Tage“, erschienen 2016 in seinem Erzählband „Der Tod des Odysseus“, ein Denkmal gesetzt. In dieser Novelle geht es um die armenisch-jüdisch-griechischen Minderheiten im osmanischen Reich und in der späteren Türkei. Die drei besagten Tage beziehen sich auf die Zeit zwischen dem 5. und 7. September 1955. Wie man von Markaris – man vergleiche seine Krisentrilogie, die auch eine Tetralogie wurde – schon gewohnt ist, folgt noch ein Epilog vom 8. September. An diesen drei Tagen kam es zu schweren Ausschreitungen gegen die griechische Bevölkerung in Istanbul, von denen sie sich nie wieder erholt hat und die schließlich zur Aus- bzw. Rückwanderung nach Griechenland führte.

Die Art und Weise, wie verschiedene Kulturen miteinander umgehen, ist ein lebendiges Zeugnis dafür, wie Kulturmigration und Kulturtransfer funktionieren – oder auch nicht. In dem Sinne ist die griechische Sprache und Kultur in der Türkei ein Teil der Kulturmigration. Dass Migration Stereotypen, Vorurteile und alte Denkmuster reaktiviert, ist nicht von der Hand zu weisen. Einheit wird durch Vielheit ersetzt, und das ist nicht immer leicht zu akzeptieren. Der Sozialphilosoph Mark Terkessidis hat für die daraus entstehende Form von Kultur den Begriff „Interkultur“, als eine Art „Zwischen-Kultur“ vorgeschlagen, also ein „Nicht-mehr“ und ein „Noch-nicht“, ein Nicht-mehr-zur-Ausgangskultur-Gehören und ein Noch-nicht-in-die-Zielkultur-integriert-Sein.

Ein ähnliches Phänomen ist beim Transfer auf dem Gebiet der zeitgenössischen griechischen Kultur zu beobachten. Auf dem Gebiet der Literatur ist der deutschsprachige Raum ein Einwanderungsland, das jedoch zu einem überwiegenden Prozentsatz von der angloamerikanischen Kultur bestimmt wird. Alle anderen Einflüsse sind nachrangig und, wie im griechischen Fall, prozentuell vernachlässigbar. Politisch gesehen stellt es sich so dar: Erst 1998 hat die rot-grüne Regierung offiziell anerkannt, das Deutschland ein Einwanderungsland ist – sofort konterkariert von der These der „Leitkultur“. Das heißt, es muss eine Art des Umgangs mit den „Migranten“ gefunden werden, die man als „Integration“ bezeichnet. Terkessidis argumentiert in seinen Büchern „Interkultur“ (2010) und „Kollaboration“ (2015), dieser Begriff sei negativ besetzt und beziehe sich auf Defizite der Zugewanderten. Das Verhältnis von „Einheit“ und „Vielheit“ müsse neu definiert werden: Fügt man Einwanderer in die bestehenden Strukturen ein oder muss man der Vielfalt anders gerecht werden?

Ähnlich ergeht es dem Übersetzer und der Übersetzerin, wenn sie Kulturmigranten integrieren, also Texte übertragen, die aus einem anderen Sprach- und Kulturraum und somit auch aus einem anderen Denk- und Mentalitätsraum stammen. Dabei treten alle Probleme auf, die man auch beim Thema Migration und Integration zu hören gewohnt ist. Besteht der literarische Text den „Einbürgerungstest“? Übersetzerische Kulturmigration bedeutet also, ein Stück fremder Kultur durch Transfer in eine andere Sprache dauerhaft heimisch zu machen. Der fremdsprachige Text muss „Deutsch“ lernen, um integriert zu werden. Aber inwieweit muss er „deutsch werden“? Oder inwieweit kann er in einem Zustand der „Interkultur“ verweilen?

Markaris-Tagung, 23.4.16, cJosefina Markarian
Michaela Prinzinger, ©Josefina Markarian

Die Entschluss, sich der deutschen Sprache zu widmen, war, wie Markaris sagt, ein Zufall und ein Irrtum. Interessanterweise war die Entscheidung des Vaters, ihn auf das österreichische Sankt-Georgs-Kolleg in Istanbul zu schicken, ökonomisch und nicht kulturell motiviert. Dass sie auf einer Fehleinschätzung der deutschen Wirtschaftskraft beruhte, ist zweitrangig. Markaris ist seinem Vater für diesen Irrtum jedenfalls dankbar. Das wirtschaftliche Kapital motiviert normalerweise zu Entscheidungen. Doch in diesem Falle hat sich das ökonomische in symbolisches Kapitel gewandelt. Die Kultur ist das symbolische Kapital, mit dem ungleiche Gesellschaften miteinander auf Augenhöhe begegnen können. Nichtsdestotrotz stehen aber auch hinter jedem Kulturtransfer politisch-wirtschaftliche Interessen.

Literaturübersetzer ist also derjenige, der Kulturmigranten „integriert“. Dabei geht es um Einwanderung, und nicht nur um einen Durchgangsverkehr. Es geht um eine dauerhafte Ansiedlung. Welche Interessen bestehen an einer dauerhaften Ansiedlung sowohl in der Politik und Wirtschaft als auch in der Literatur? Arbeitskräfte werden gebraucht in einer überalterten Gesellschaft mit geringer Kinderzahl. Verlage wünschen sich Übersetzer, die wenig kosten, und gut verkäufliche Autoren, die sich nahtlos in die jeweilige „Leitkultur“ eingliedern lassen.

Als ich Ende der 90er-Jahre die ersten beiden Kapitel von Markaris’ Erstlingsroman für eine Probeübersetzung für den Diogenes-Verlag zugeschickt bekam, wusste ich auf Anhieb: Das kommt beim deutschsprachigen Publikum an. Wieso war das so? Der Text war witzig und spritzig, hatte Brisanz, Ironie und Biss und hielt ein heilsame Distanz zu eigenen Kultur. Es gelingt Markaris, in Erinnerung bleibende, griffige Figuren zu schaffen und Kommissar Charitos‘ beruflichen und familiären Alltag auf nachvollziehbare Weise zu beschreiben. Dazu kommt die Verquickung von Politik und Wirtschaft, die sich in Themen wie Schmier- und Bestechungsgelder, Medienpolitik, Steuerflucht, Schiebereien, Parteienfilz, Schwarzgeld und dessen Legalisierung äußert.

Wie gelingt es Markaris, das Wahrnehmungsproblem, das die zeitgenössische griechische Kulturproduktion im Allgemeinen hat, zu „umgehen“ oder zu „knacken“? Natürlich ist es der Roman, der die Verlage (und anscheinend auch die Leser) am meisten interessiert. Erzählungen sind schon wesentlich weniger gefragt, und Lyrik bleibt einer kleinen, unerschrockenen Sekte vorbehalten. Petros Markaris ist fraglos der bekannteste und beliebteste griechische Gegenwartsautor. Das liegt auch daran, dass sein Verlag ihn gut „pflegt“ und ihn geschickt promotet. Zudem spricht er Deutsch und ist für die hiesigen Medien zum begehrten Ansprechpartner und Griechenland-Erklärer geworden. Markaris gelingt es, durch seinen humoristischen Blick und durch seine distanzierte Haltung, die seinem kosmopolitischen biografischen Hintergrund entspringen, Griechenland dem deutschsprachigen Leser nahezubringen. Dabei spricht er wiedererkennbare, globale Themen an, mit denen sich der Leser sowohl im griechischsprachigen als auch im deutschsprachigen Raum identifizieren kann.

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Michaela Prinzinger, Petros Markaris, Silvia Zanovello (Diogenes-Verlag)

Ein Merkmal der Unterhaltungs- und Kriminalliteratur ist die Serienbildung, die Schaffung wiedererkennbarer Figuren eines Kommissars oder eines Detektivs, es wird Spannung aufgebaut und es wird ein Rätsel gelöst. Andererseits ist der Krimi als populärer Lesestoff auch ein Gesellschaftsroman, der das Augenmerk auf soziale Missstände legt und eine kritische Position zu verschiedenen Phänomenen der Gegenwart (Macht der Medien, Umweltverschmutzung, Korruption, Verlogenheit der Politiker, Vergangenheitsbewältigung, Wirtschaft-, Finanz- und Gesellschaftskrise) einnimmt. 2005 hat Petros Markaris mit dem Roman „Live!“ in der Kategorie International des renommierten Deutschen Krimi Preises den 3. Platz hinter Ian Rankin und Arne Dahl eingenommen. Das heißt, auch er hatte einen eigenwilligen, wiedererkennbaren Stil gefunden, der sich vor allem in der Serienfigur Kommissar Charitos und in seiner Sichtweise der Welt, seinem Witz und seinen sprachlichen Bildern äußert.

In der zeitgenössischen griechischen Literatur ist in den letzten Jahren generell eine Öffnung und Internationalisierung zu beobachten, die ich nur gut finden kann. Allerdings lastet auf der griechischen Literatur das schwere Erbe eines Klischees: das Sorbas-Syndrom. Dieses folkloristische Bild beeinflusst die Wahrnehmung der zeitgenössischen Kulturproduktion immer noch. Ziel wäre es, alle alten und neuen Hüllen abzustreifen, den antiquierten Philhellenismus, die politische Brille der 60er- und 70er-Jahre, die einseitige Naturbegeisterung für die griechische Landschaft, den Krisen-Diskurs. Die gemeinsamen, globalen Fragen sind es, die uns zusammenführen und die Menschen sprachen-und kulturübergreifend interessieren.

Eine Frage wird immer wieder gestellt: Warum gelingt es den griechischen oder zyprischen Autoren – trotz langjähriger Bemühungen ihrer Übersetzer – nicht, ein ausländisches Stammpublikum zu erreichen? Teils gibt man den Autoren, teils den Übersetzern die Schuld. Aber vielleicht liegt das Problem ganz woanders. Man muss bedenken, dass sich beispielsweise die griechische Prosa aufgrund historischer Entwicklungen mit einer gewissen Verzögerung herausgebildet hat. Wenn es keine Tradition übersetzter Literatur gibt, dann fehlen dem anderssprachigen Lesepublikum die Voraussetzungen. Der Übersetzer und auch der Leser können auf keinem Vorwissen aufbauen. Daher muss der Übersetzer in besonderer Weise Brücken bauen. Die Überfrachtung von Texten mit Realien und Eigennamen, die Voraussetzung historischer Kenntnisse, die der deutschsprachige Leser nicht hat, bilden da eine Verständnisschwierigkeit. Das erschwert den Zugang, hier ist der Übersetzer gefordert und muss – durch elegante Anleitung des Lesers und möglichst ohne trockene Fußnoten – seine Vermittlungskunst beweisen.

Der Aufbau eines treuen Lesepublikums ist ein langwieriger Prozess, der viel Geduld und Fleiß erfordert. Doch ohne funktionierende Übersetzungsförderung wird es sehr schwierig, griechische Literatur deutschsprachigen Verlagen schmackhaft zu machen. Das ist (leider) die Voraussetzung für den Kulturtransfer. Dann können nur solche Texte transferiert werden, die einen hohen Verkaufsfaktor haben. Das heißt, es werden wieder nur bestimmte, gängige Genres übersetzt.

publikum in hoersaal
©Josefina Markarian

Wie man beobachten konnte, wurde – bevor die Flüchtlings- und Terrorproblematik die Medienhoheit übernommen haben – das deutsch-griechische Verhältnis seit 2010, unter besonderer Zuspitzung im Jahr 2013-14, zu einem interessanten Fallbeispiel von missglückter Kommunikation. Nicht zufällig finden Deutschland und die deutsch-griechischen Beziehungen in den letzten Markaris-Romanen immer breiteren Raum. Den Anfang machte der deutsch-türkische Ermittler und seine Frau im Roman „Die Kinderfrau“, später ging es mit dem Deutschgriechen Jerassimos Nassiotis in „Zahltag“ weiter, der die gebrochene Identität der 2. und 3. Migrantengeneration verkörperte. Dann wird Uli, ein junger Deutscher, in den Familienkreis von Kommissar Charitos eingeführt, welcher der Liebe wegen nach Griechenland zieht. Im letzten Roman „Zurück auf Start“, der quasi als Epilog der Krisentrilogie fungiert, wird der deutsch-griechische Zusammenhang in der berührenden Figur des Deutschgriechen Andreas Markidis noch expliziter, der am Versuch tragisch scheitert, seine durch Bildung erworbene deutsche Mentalität zum Wohle Griechenlands einzusetzen.

Die Deutschgriechen in Markaris’ Büchern sind gebrochene Existenzen, gespaltene Persönlichkeiten, die mit ihrer multiplen Identität seelisch nicht ganz fertig werden. Und dadurch werden sie dann auch zur letzten Grenzüberschreitung, zum Töten fähig. Die Frage, wie man diese Zerrissenheit zwischen „deutsch“ und „griechisch“ überwinden könnte, hat Markaris in einem Interview für die von mir gegründete deutsch-griechische Plattform diablog.eu folgendermaßen beantwortet:

„Ich bin von Natur aus ein Mensch, der in einem >Schwebezustand<, in einem >Niemandsland< lebt. Ich bin das Kind einer gemischten Familie: Mein Vater war Armenier, meine Mutter Griechin. Ich bin in Istanbul aufgewachsen, aber auf ein österreichisches Gymnasium gegangen, habe dann in Wien gelebt und lebe jetzt in Griechenland. Eine wilde Mischung, sozusagen. Immer wieder spüre ich dieses >Niemandsland< und sage: Redet mir nicht von Heimat, weil dieser Begriff sagt mir nichts, absolut nichts! Wenn das ein Grieche hört, schüttelt er sich vor Grausen. Aber ich habe mich an den Zustand gewöhnt, nirgendwohin zu gehören. Ein Freund von mir hat mir erzählt: >Nach drei, vier Monaten in Deutschland will ich alles hinschmeißen, weil mir die Deutschen auf die Nerven gehen, und zurück nach Griechenland. Doch sobald ich dort bin, sage ich schon nach einem Monat: Ich halte die Griechen nicht aus, nichts wie weg.< Das ist genau der Zustand der Nicht-Zugehörigkeit. Man braucht allerdings eine gewisse Übung, um so leben zu können. Mein Weg war es, mich der europäischen Kultur im Allgemeinen zugehörig zu fühlen, nicht speziell nur der griechischen oder österreichischen oder türkischen. Das hat mir geholfen, die Sache in den Griff zu bekommen.“

Wenn man selbst die Wahl hat, für welche Kultur man sich entscheidet, ist das etwas anderes, als hineingeboren zu werden. Freunde wählt man sich selbst, die Familie nicht. In Markaris’ letztem Roman „Zurück auf Start“ fungiert ein Isokrates-Zitat als Motto: Grieche sei man nicht durch Geburt, sondern durch Teilhabe an der griechischen Bildung. Also ein antinationalistisches Statement par excellence…

Dazu meint Markaris im oben genannten Interview: „Dieser tolle Spruch von Isokrates ist eine der fortschrittlichsten Positionierungen zu diesem Thema in der ganzen Ideengeschichte. Es ist nicht das Volk, das dich bestimmt, sondern die Bildung. Das erlebe ich bei mir selbst. Die Bildung ist es, die mich geformt hat. Auch in meinem letzten Roman ist die Rolle, die die Bildung spielt, ausschlaggebend für die Aneignung und Assimilierung von Kultur. In Brechts >Kaukasischem Kreidekreis< gibt es ein ganz ähnliches Zitat, wenn der Erzähler sagt: >Dass da gehören soll, was da ist, denen, die für es gut sind.< Dieses Gute ist in dem Fall die Bildung, die die Menschen formt. Brechts Spruch ist genauso für Interpretationen offen wie Isokrates’ wunderbares Zitat.“

Nicht Geburt, sondern Teilhabe, das ist also die Botschaft. Teilhabe ist ein demokratischer Prozess, der erkämpft werden will. Geburt ist von vornherein gegeben und auch nicht veränderbar. Petros Markaris hat sich in den Dienst der Sache gestellt, Teilhabe zu ermöglichen, durch Kulturtransfer Texte dauerhaft heimisch zu machen, sie auf fremdem Terrain einzupflanzen und anzusiedeln.

In diesem Sinne betreibt Petros Markaris seine eigene Agenda von Kulturpolitik, sowohl als Autor als auch als Übersetzer. Kulturpolitik ist keine Angelegenheit zwischen Staaten, sondern zwischen Menschen. Sie sollte nicht in Institutionen verbürokratisiert werden, sondern in kreativen Menschen zum Ausdruck kommen, die Brücken schlagen. Diese Art von Kulturpolitik wirkt inspirierend und fördert den Zusammenhalt und das gegenseitige Verständnis.

Zur weiterführenden Lektüre: Besuchen Sie die Website diablog.eu, wenn Sie über Initiativen im Rahmen des deutsch-griechischen Kulturtransfers informiert werden wollen.

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