Am 23. März 2015 erschien in der Berliner Morgenpost folgender Artikel von Philipp Volkmann-Schluck über diablog.eu und Michaela Prinzinger erschienen.
Es sieht alles nach Selbstmord aus. Der Mann baumelt an einer Schlinge, neben ihm steht eine Trittleiter. Für die Polizei in Athen eigentlich ein Routinefall. Aber der Tote hat zwar einen griechischen Namen, aber er ist deutscher Staatsbürger. Das macht die Sache kompliziert, es wird eine große Untersuchung geben müssen. Schließlich, sagt ein Ermittler, würden die Deutschen den Griechen schon genug unter die Nase reiben: verschleppte Reformen, zu niedrige Steuereinnahmen. „Da sollen Sie uns nicht auch noch vorwerfen können, dass wir Mord und Selbstmord nicht auseinanderhalten können.“
Der Auftakt des neuen Kriminalromans „Zurück auf Start“ des griechischen Star-Autoren Petros Markaris, der am Mittwoch erscheint (Diogenes-Verlag, 23,90 Euro) führt in die Gegenwart der deutsch-griechischen Verhältnisse. Sicher wird auch diese weitere Episode mit dem beliebten Kommissar Kostas Charitos zum Beststeller in Deutschland. Nicht trotz, sondern wegen der Krise.
Die deutsche Stimme von Petros Markaris ist Michaela Prinzinger, sie lebt in in einer Wohnung voller Bücher in Kreuzberg. Prinzinger ist gewissermaßen die Stimme für das gesamte Deutschland. Neben Makaris gibt es hierzulande keine zeitgenössischen Beststeller-Autoren aus Griechenland. Als Prinzinger vor 15 Jahren anfing, den noch unbekannten Autor zu übersetzen, zahlten Griechen noch mit der Drachme. Wenn Deutsche über das Land sprachen, ging es um heitere und günstige Urlaube. Heute beschäftigt der Mittelfinger des griechischen Finanzministers die Nachrichten.
Alle lasen jahrelang nur ein Buch
Prinzinger übersetzt nicht nur, sie will eine Brücke bauen. Mit diablog.eu hat sie einen zweisprachigen Blog gegründet. Wer mit der gebürtigen Österreicherin spricht, versteht schnell: Die Beziehung zwischen Deutschland und Griechenland, das ist eine Geschichte der gegenseitigen Unkenntnis. Das war schon vor der Finanz- und späteren Staatskrise so. So, wie Prinzinger in charmanter Bescheidenheit auf die Frage antwortet, wie sie zur exklusiven Übersetzerin aller Markaris-Bücher wurde: „Weil ich damals viel Zeit hatte, es gab keine anderen Aufträge.“ Die Deutschen konsumierten eben keine griechischen Kulturprodukte.
Warum auch? Man hatte ja schon das eine Buch zum ganze Land. „Alexis Sorbas“ von Nikos Kazantzakis. Dazu die Verfilmung mit Anthony Quinn aus dem Jahr 1964. Es ist einer der erfolgreichsten Filme aller Zeiten, er ließ Griechenland schlagartig zum Sehnsuchtsort und Urlaubsziel werden. Jeder wollte dieses vermeintlich so anarchische und unbeschwerte Land erleben, ein paar Tage so wie Anthony Quinn sein. Natürlich auch Weinblätter in der Taverne essen. Vor allem die Deutschen wollten das.
„Alexis Sorbas ist Fluch und Segen zugleich“, sagt Prinzinger. Ein Klassiker, der alles erdrücke. An zeitgenössischer Literatur aus Griechenland, da gäbe es einiges, hätten deutsche Verlage dagegen überhaupt kein Interesse. Amerikaner zum Beispiel könnten Bücher schreiben, die in Thailand spielen, ohne dass sich jemand darüber wundere. Wenn aber ein Grieche über Thailand schreiben würde, träfe das auf Unverständnis. Der Anspruch an griechische Autoren sei vielmehr, sowohl das Erbe der Antike als auch die aktuelle Krise zu verarbeiten – und das in unterhaltsamer Form. „Ein bisschen viel verlangt.“ Zugleich beinhalte der unvermeidliche Vergleich zeitgenössischer Autoren mit Sokrates oder Homer immer den Vorwurf des Abstieges: großes Erbe, mickrige Gegenwart. Das war schon so, bevor über einen Ausstieg aus der Euro-Zone diskutiert wurde.
Stellen wir uns vor, im Ausland hätten Menschen nur die „Buddenbrooks“ gelesen und würden die Deutschen mit dieser Vorlage analysieren. Auch die „Buddenbrooks“ sind ein herausragendes Buch. Ungerecht behandelt würde sich die meisten Deutschen trotzdem fühlen.
„Was bleibt, ist Kultur und Kreativität“
Auf diablog.eu, den Prinzinger als Chefredakteurin führt, stehen also Inhalte, die Deutschland sonst kaum erreichen würden. Dabei verzichtet sie auf direkte Kommentierung des politischen Tagesgeschehens. Das würde zwar mehr Leser ansprechen – aber genau das machen ja schon die anderen. „Griechenland hat gewählt, die Politiker mögen die gleichen oder andere sein. Was bleibt, ist Kultur und Kreativität“, schreibt sie zur neuen, umstrittenen Regierung in Athen.
Viele der Geschichten auf dem Blog stammen aus Berlin. Rund 12.000 griechische Staatsbürger leben in der deutschen Hauptstadt. Wie viele Griechen aber bereits vor Jahrzehnten kamen und deutsche Pässe haben – kaum noch zu schätzen. Inzwischen kehren in Deutschland aufgewachsene Menschen mit griechischen Wurzeln wieder nach Griechenland zurück. Sie wollen ihr Land aufbauen. So, wie es Markaris in seinem neuen Krimi zeigt: Nur leider mit eben jenem Mann, der gleich zu Beginn an einer Schlinge von der Decke hängt. Ein Deutscher mit griechischem Namen, der Windkrafträder am Mittelmeer bauen wollte, es aber schwer hatte, mit Zukunftstechnologie die griechische Bürokratie zu überzeugen. Ein drastisches Bild. Es lässt erahnen, wie schwer es ist, zwischen beiden Ländern zu stehen.
Wahrheit über griechischen Wein
Für ihren Blog interviewt Prinzinger etwa den Weinhändler Christos Tziolis aus Charlottenburg. Griechischer Wein, da denken viele an Retsina, geharzten Wein, oder gleich an „das Blut der Erde“, wie Udo Jürgens es gesungen hat. Nur, dass Griechen eigentlich gar keinen Retsina mehr trinken. Er wird kaum noch hergestellt. Stattdessen gibt es Retsina-Billigware für Touristen. Tziolis, der Weinhändler, sagt, es gebe zwei Typen von Retsina-Trinkern: Liebhaber, die den echten Retsina bereits in den 60er-Jahren im Urlaub kennenlernten und nach dem Original suchen. Und diejenigen, die in griechischen Lokalen nichts anderes angeboten bekommen, also den „Wein mit Harzgeschmack“ probieren und ihn dann „kritik- und gedankenlos konsumieren“, sagt Tziolis, der seit 1977 in Berlin lebt. Dabei gebe es viele besondere und trockene Weine aus Griechenland, für die sich Neugierige interessieren sollten.
Gedankenloser Konsum. Das ist es, wogegen Michaela Prinzinger mit ihrem Blog ein Zeichen setzten will. Und darum, die Kultur aus einem Land im Ausnahmezustand zu dokumentieren. Jeder vierte junge Mensch dort findet keinen Job. Auf ihrem letzten Besuch in Athen sah Prinzinger ziemlich einsame Straßen im einst so lebhaften Athener Zentrum. Die meisten lassen inzwischen ihr Auto stehen – zu teuer. Man geht zu Fuß oder fährt mit dem Bus. So, wie Kommissar Kostas Charitos in „Zurück auf Start“, der sich jede Fahrt mit seinem alten Seat zweimal überlegt und immer mit schlechtem Gewissen am Steuer sitzt. Andererseits sei Athen nie so bunt gewesen wie jetzt, sagt Prinzinger. Streetart überall an den Wänden. Ein Künstler gestaltet Schmuck aus alten Drachmen-Münzen, die Kollektion heißt „Grexit“ Und es entwickelt sich eine innovative Start-up Szene in Athen.
Auch wenn der Austausch schwach entwickelt ist: Prinzinger ist überzeugt, dass Griechenland schon sehr viel Einfluss auf Deutschland hat. Sie nennt das „Mediterranisierung“ und meint damit: Die Deutschen sitzen nicht mehr in dunklen Ausflugslokalen vor einem Kännchen Kaffee, sondern unterm Sonnenschirm bei Wein und hochwertigem Olivenöl. Die Vorzüge der Deutschen und die der Griechen vereint, sagt Prinzinger, „das wären die perfekten Europäer.“
Foto: Krauthoefer
Dieser Beitrag ist auch verfügbar in: EL