Übersetzer machen Kulturpolitik

„Übersetzer machen Kulturpolitik“: Interview, das Michaela Prinzinger dem Literaturkritiker Vangelis Chatzivasileiou gegeben hat.

— Was repräsentiert für Sie, aber auch für die zeitgenössische griechische Literatur der Österreichische Staatspreis für literarische Übersetzung, den Sie vor kurzem erhalten haben?

Dieser Preis ist die höchste Auszeichnung des österreichischen Staates für Übersetzer. Er wurde bis jetzt noch nie für Übersetzungen aus dem Griechischen vergeben. Das heißt, bisher wurde dieser Kulturtransfer vom Griechischen ins Deutsche auf offizieller Ebene nicht registriert. Generell hat die zeitgenössische griechische Kultur ein Wahrnehmungsproblem im deutschsprachigen Raum. Da ist dieser Schritt ein wichtiger Anfang. Ich denke schon lange darüber nach, wo die Gründe dafür liegen.

— Man bringt Sie mit der Übersetzung der Kriminalromane von Petros Markaris auf Deutsch in Verbindung. Wie werden sie vom deutschsprachigen Publikum aufgenommen?

Natürlich ist es der Roman, der die Verlage (und anscheinend auch die Leser) am meisten interessiert. Erzählungen sind schon wesentlich weniger gefragt, Lyrik bleibt einer kleinen, unerschrockenen Sekte vorbehalten. Der mittlerweile bekannteste und beliebteste griechische Gegenwartsautor ist Petros Markaris, keine Frage. Das liegt auch daran, dass sein Verlag ihn gut „pflegt“ und ihn geschickt promotet. Zudem spricht er Deutsch und ist für die deutschsprachigen Medien zum begehrten Ansprechpartner und Griechenland-Erklärer geworden. Markaris gelingt es, durch seinen humoristischen Blick, durch seine distanzierte Haltung, die seinem kosmopolitischen biografischen Hintergrund entspringt, und durch lebensnahe Figuren dem deutschsprachigen Leser den Athener Alltag nahezubringen. Dabei spricht er wiedererkennbare, globale Themen an, mit denen sich der Leser im griechischsprachigen und im deutschsprachigen Raum identifizieren kann.

— Sie haben nicht nur Markaris, sondern viele andere griechische Autoren übersetzt. Wie sieht das Grundmuster der griechischen Literatur aus, das aus dem Corpus Ihrer Übersetzungen hervorgeht? Wie wird durch Ihre Übersetzungen die griechische Literatur dem ausländischen Publikum nahegebracht?

In der zeitgenössischen griechischen Literatur habe ich eine Öffnung und Internationalisierung beobachtet, die ich nur gut finden kann. Allerdings lastet auf der griechischen Literatur das schwere Erbe eines Klischees: das Sorbas-Syndrom. Dieses folkloristische Bild beeinflusst die Wahrnehmung der zeitgenössischen Kulturproduktion immer noch. Ziel wäre es, alle alten und neuen Hüllen abzustreifen, den antiquierten Philhellenismus, die politische Brille der 60er- und 70er-Jahre, die einseitige Naturbegeisterung für die griechische Landschaft, das Krisen-Gerede. Die gemeinsamen, globalen Fragen sind es, die uns zusammenführen und die Menschen sprachübergreifend interessieren. Mich interessiert besonders jede Form von avantgardistischer Literatur, die provoziert und unbequeme Fragen stellt. Je frecher der Text, besto besser wird meine Übersetzung.

— Warum gelingt es den griechischen Autoren – trotz langjähriger Bemühungen ihrer Übersetzer – nicht, ein ausländisches Stammpublikum zu erreichen?

Einmal gibt man den Autoren, einmal den Übersetzern daran die Schuld. Aber vielleicht liegt das Problem ganz woanders. Sie müssen bedenken, dass sich beispielsweise die griechische Prosa aufgrund historischer Entwicklungen erst zeitverzögert herausgebildet hat. Wenn es keine Tradition von Übersetzungen gibt, dann fehlen dem anderssprachigen Lesepublikum die Voraussetzungen. Der Übersetzer und auch der Leser können auf keinem Vorwissen aufbauen. Daher muss der Übersetzer in besonderer Weise Brücken bauen. Die Überfrachtung von Texten mit Realien und Eigennamen, die Voraussetzung historischer Kenntnisse, die der deutschsprachige Leser nicht hat, bilden da eine Schwierigkeit. Das erschwert den Zugang, hier muss der Übersetzer ran und seine Vermittlungskunst beweisen, durch elegante Anleitung des Lesers, möglichst ohne trockene Fußnoten. Der Aufbau eines treuen Lesepublikum ist ein langsamer Prozess, der viel Geduld und Fleiß erfordert. Doch ohne funktionierende Übersetzungsförderung seitens des griechischen Staates wird es sehr schwierig, griechische Literatur deutschsprachigen Verlagen schmackhaft zu machen. Das ist (leider) die Voraussetzung für den Kulturtransfer.

— Erzählen Sie uns von der deutsch-griechischen Website, diablog.eu, die Sie ins Leben gerufen haben. Was ist ihr Ziel und nach welchen Kriterien funktioniert sie?

Griechische Literatur wird generell, das ist leider meine Erfahrung, als für den deutschsprachigen Leser uninteressant eingestuft, sowohl von Verlagen als auch von Kulturzeitschriften. Wobei amerikanische und französische Autoren durchaus über griechische Inseln fabulieren dürfen und übersetzt werden! Auch die „griechische Krise“ hat das Interesse an ihr nicht befördert. Das hat mich bewogen, selbst ein Medium zu schaffen, das eine Alternative bietet zum „Mainstream“: www.diablog.eu, deutsch-griechische Begegnungen. Seit einem Jahr bieten wir darin ein zweisprachiges Kulturportal, das auf freiwilliger Mitarbeit beruht und dennoch einen hohen qualitativen Anspruch hat. Uns liegt daran, einen kontinuierlichen Austausch zwischen den Kulturen, Sprachen, Mentalitäten und Denkweisen zu ermöglichen. Auf der Ebene der Literatur verbreiten wir Gedichte, Erzählungen, Essays, Romanausschnitte und Autoreninterviews sowohl junger als auch etablierter Schriftsteller in beiden Sprachen.

— Ein anderes Gebiet, auf dem Sie sich engagieren, ist die Kulturvermittlung. Wie ist sie mit Ihrer Übersetzungstätigkeit verknüpft?

Mit diablog.eu gehe ich einen Schritt über die reine Übersetzertätigkeit hinaus. Dieses Portal öffnet sich allen Kulturformen wie Musik, Theater, Film, Tanz und Bildende Kunst. Der Übersetzer wird zum Kulturpolitiker – ohne weisungs- oder parteigebunden zu sein. Das ist ein großer Vorteil. Unser einziges Interesse ist die Herstellung von Kommunikation und Verständigung auf der Basis von gegenseitigem Respekt. Was wir machen, ist Kulturdiplomatie von Mensch zu Mensch. Zugrunde liegt die Idee eines Netzwerks, das uns alle auffängt und miteinander verbindet. In den letzten anderthalb Jahren sind wir langsam, aber kontinuierlich gewachsen. Wir wollen keine Kulturblase erzeugen, sondern das Netz jeden Tag ein Stück weiter weben.

— Woran arbeiten Sie gerade?

Ich bin jeden Tag mit der Produktion immer neuer Texte, sowohl als Übersetzerin als auch als Lektorin, beschäftigt. Abonnieren Sie diablog.eu, dann bekommen Sie zwei Mal die Woche geistige Nahrung und Anregungen aus allen Kultursparten! Zur Zeit bereite ich konkret ein Zeitzeugen-Buch über Distomo vor, das – wie ich hoffe – nicht nur die Köpfe, sondern auch die Herzen der deutschsprachigen Leser erreichen wird. Weiters kommt im Verlauf des Jahres ein Erzählband von Petros Markaris und die Erstübersetzung eines Jugendbuches von Nikos Kazantzakis heraus: Der Palast von Knossos. Dieses Buch mag ich sehr und ich hoffe, es wird viele junge und alte Leser begeistern.

http://www.nooz.gr/…/o-metafrastis-einai-enas-politistikos-…

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